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Archiv-Artikel

Gutgelaunte Kolosse

MR. SPOCK Der Fotograf Leonard Nimoy zeigt bei Emerson „The Full Body Project“

VON JENNI ZYLKA

Angeblich, erzählt der Galerist, kam nach seiner vorletzten Ausstellung eine voluminöse Frau auf den Fotografen Leonard Nimoy zu. Es sei ja einfach, schöne Fotos von schlanken Frauen zu machen. Ob’s denn mal ein bisschen mehr sein dürfte?

Nimoy ließ sich darauf ein. Er akquirierte das vollschlanke Model für seine erste Reihe Bilder von dicken Frauen. Für die zweite Serie „The Fat Body Project“, deren beste Exponate noch bis Januar in der Emerson Galley zu sehen sind, stand ihm eine ganze Truppe zur Verfügung: Die „Big Burleque Show Fat-Bottom Review“, tanzende US-Übergewichtsaktivistinnen, wurde von Heather McAllister gegründet, für die jede nicht Witze erzählende dicke Person auf der Bühne bereits einen politischen Akt darstellt. In den USA fransen eben beide Richtungen – Diätwahn und Diätbashing – stark aus. Zwar passen sich die Frauenvorbilder global seit Jahren rasch an das Hungerharkenideal an, während die Adipositasraten steigen. Doch politisch aktiv werden weibliche Übergewichtige hierzulande eher selten, viele Beobachter behaupten gar, es ließe sich bereits ein gegenläufiger Trend in der Mode- und Kulturszene entdecken. Allerdings machen proportionierte, glatte Damen mit Kleidergröße 40, die in einer Hautcremewerbung so tun, als ob sie gerade eine Revolution ins Rollen bringen, oder eine einzige übergewichtige Indie-Sängerin in einer Haute-Couture-Show noch keinen Sommer. Nimoys „Fat Body Project“-Models, die in Posen kunsthistorisch bedeutender Gemälde und fast immer nackt abgebildet sind, kann man nicht mit den kurvigen Grazien vergleichen, auf die sich ohnehin bis auf ein paar versnobte Modedesigner und neidische Magersüchtige alle einigen können: Tatsächlich sind die Frauen auf den großformatigen schwarzweißen Fotos Menschenberge, gutgelaunte, schwere, höchst lebendige Kolosse, in – je nach Originalgemälde – graziösen Posen, mit in die Luft geworfenen Füßchen und wehenden Haaren. Ihre dellige Hautoberfläche ist eine wichtige Strukturebene, in Nimoys Version von Matisses 1909 entstandenem Bild „La danse“ kommt noch die dem Original nachempfundene schräge Perspektive hinzu, aus der das Bild fotografiert wurde. Entfernt von einer sexuell aufgeladenen Stimmung oder Assoziationen zu den entsprechenden Special-Interest-Websites, scheinen hier einfach nur Menschen aus Spaß an ihrem eigenen Körper diesen herzeigen zu wollen. Matisse, und vor ihm Barock- und andere Künstler, setzten von jeher stets auf Leibesfülle: Den ungesund dünnen Frauenkörper hat die Mode bekanntlich vor gerade mal 44 Jahren herangezüchtet. Aber vor allem in der zügellos im Photoshop wildernden Fotokunst sind reale, zwar ausgeleuchtete und postierte, aber nicht geglättete, nicht nachbearbeitete Bilder von viel weicher Haut, waberndem Fleisch und sichtbarem Gewicht selten.

Wenn die Bilder auch politisch nicht ganz so aussagekräftig sind, wie es Fat-Feminist-Activists gern hätten, geben sie dennoch ein schönes, ironisches Statement zur Kunstgeschichte, zu den „Idealkörpern“ eines Herb Ritts oder Helmut Newton ab. Und der ehemalige Star-Trek-Darsteller und gelernte Fotograf Nimoy, der über alles gern redet, nur nicht über Mr. Spock, entfernt sich damit (selbst)bewusst noch einen Schritt von dem ihm eh ziemlich am mageren Hintern vorbeigehenden Hollywood.

■ Bis 15. Januar, Emerson Gallery, Gartenstr. 1, Berlin-Mitte, Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr. Die Galerie ist vom 24. Dezember bis 4. Januar geschlossen