: Gutes Großstadtgeflügel
■ Es geht doch: Unwirtlicher Tunnel wird zur (fast) heimeligen Galerie
Der Lessingtunnel in Altona wird im Allgemeinen als böser Ort angesehen. RadfahrerInnen treten fester in die Pedalen, und FußgängerInnen beschleunigen ihre Schritte, um die Verbindung zwischen den Stadtteilen Altona und St. Pauli so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Nicht nur, weil der Tunnel laut und ziemlich „schattig“ ist, sondern auch wegen dessen lebenden Inventars: Stadttauben nisten in den Brückenträgern und machen eine Durchquerung zum Spießrutenlauf.
Seit gut einer Woche präsentiert sich die Verbindung zwischen Barner- und Julius-Leber-Straße allerdings in einem neuen Licht: Im Lessingtunnel hat eine Installation Einzug gehalten. In regelmäßigen Abständen sind an den Seiten des Fuß- und Radweges 14 weiße Folien angebracht, deren grobmaschige Struktur das wenige Licht durchlässt, eine Lichtreflexion erzeugt und dadurch den Tunnel etwas aufhellt. Bedruckt sind die Folien mit großformatigen Fotos der allseits beliebten Tauben. Die TunnelbewohnerInnen sind in den unterschiedlichsten Situationen ihres täglichen Lebens abgebildet – pi-ckend, fliegend oder badend.
Immer zwei Foto-Folien liegen einander gegenüber, verbunden durch eine weitere reflektierende Folie unterhalb der Tunneldecke, so dass eine Art Tunnelgalerie mit sieben „Kabinetten“ entstanden ist. Dazu sind zwischen den Folienpaaren einzelne Lautsprecherboxen aufgehängt. Und daraus kommen Sounds, die das Durchqueren des Lessingtunnels zum Vergnügen machen und zum Verweilen auffordern: In prägnanter Lautstärke gibt einer der Lautsprecher ein an- und abschwellendes Geräusch von sich, klöternd und gleichzeitig schwappend: ein metallisches Brandungsrauschen. Gesteigert wird der Hörgenuss durch den Zusammenklang mit den Sounds der Autos, die die beiden zweispurigen Fahrbahnen entlangrauschen und dem Rumpeln der S- und Fernbahnzüge über die oben gelegenen Gleise.
Verantwortlich für die merkliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Lessingtunnel ist das Gartenlabor Hamburg, eine Gruppe junger Architekten und Künstler. Mit ihrer Audiovisuelle Intervention am Brutfelsen des Großstadtgeflügels genannten Installation wollen sie einen starken Kontrast erzeugen und eine deutlich positivere Atmosphäre schaffen – und das ist ihnen vollauf gelungen.
Sven Tietgen
bis 31. August. Weitere Infos: www.architektursommer.de
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