: Gute globale Nachbarn
Das Wuppertal Institut will ökologische und ökonomische Gerechtigkeit. Dazu soll nicht Umverteilung führen, sondern Fairness als Maßstab von Verteilungsentscheidungen
Früher waren Umweltschutz und Gerechtigkeit Themen, für die sich unterschiedliche Gruppen von Gutmenschen engagierten. In einer globalisierten Welt aber sind soziale und ökologische Probleme nicht mehr voneinander zu trennen – und sollten auch Egoisten interessieren. Das ist die Ausgangsthese von „Fair Future. Ein Report des Wuppertal Instituts“.
Die Autoren machen zunächst eine Bestandsaufnahme. Mit großer Klarheit beschreiben sie die zum Teil widersprüchlichen Trends, die in der Diskussion häufig isoliert und je nach Gusto benutzt werden. Wächst das Wohlstandsgefälle weltweit? Ja – und zwar seit 1978 extrem, wenn man das Pro-Kopf-Einkommen verschiedener Länder betrachtet. Nein, im Gegenteil – wenn man die Länder nach ihrer Einwohnerzahl gewichtet. Weil in China und Indien das Durchschnittseinkommen deutlich gestiegen ist und hier etwa ein Drittel der Menschheit lebt, schließt sich tendenziell die Schere zwischen Arm und Reich.
Auch im Umweltraum machen sich die Menschen sehr unterschiedlich breit. Die weltweite Konsumentenklasse, die etwa zur Hälfte im Norden, aber inzwischen auch zur Hälfte im Süden lebt, verbraucht immer mehr Ressourcen. Die Vorstellung, die Europäer hätten in den vergangenen Jahren große Fortschritte in puncto ökologischer Produktion gemacht, ist zum großen Teil Selbstbetrug: Die schmutzigen Phasen des Herstellungsprozesses finden nun allerdings in Schwellenländern statt. Betrachtet man den Abfallberg, den ein elektronisches Gerät bei der Produktion verursacht, so fällt die Bilanz heute schlechter aus als vor ein paar Jahren.
Unbestreitbar scheint, dass es so nicht weitergeht. Doch wie umsteuern? Und welche Änderungen wären gerecht? Dass jeder Weltbürger künftig gleich viel vom Umwelt- und Wohlstandskuchen abbekommen soll, erscheint den Autoren nicht nur unrealistisch, sondern auch ignorant gegenüber den vielfältigen Bedürfnissen, die sich in unterschiedlichen Lebensräumen entwickelt haben. Der Almbauer braucht andere Natur- und Konsumgüter als ein Bewohner Grönlands oder ein Städter in Kalkutta. Deshalb schlägt die Forschergruppe unter Leitung von Wolfgang Sachs und Tilman Santarius vor: „Alle Regelungen, national wie international, sind so zu treffen, dass sie nicht die Lage der weniger Begünstigten verschlechtern.“
Nicht Umverteilung, sondern Fairness soll zum Maßstab von Verteilungsentscheidungen werden. Wo Wohlstandsbedürfnisse mit Überlebensbedürfnissen kollidieren, haben Erstere zurückzustehen. Im Klartext: Wenn Menschen nicht mehr genug zu essen haben, weil ihr Land mit exotischen Früchten für reiche Konsumenten bebaut wird, dann müssen die Gourmets eben auf diese Früchte verzichten. Den Schlüssel zu Fairness verorten die Autoren deshalb auch nicht bei einem – zahnlosen – Recht der Armen, das diese angesichts der Weltmarktverhältnisse nie durchsetzen können. Viel wichtiger zur Überwindung der Ungerechtigkeit erscheint ihnen die Verpflichtung der Starken.
Die Autoren legen die Latte anscheinend gar nicht so hoch. „Für eine gute globale Nachbarschaft geht Schadensvermeidung vor Hilfe und Umverteilung.“ Doch die Aussichten, dass sich jene, die vom bisherigen System profitieren, einschränken, erschienen gering.
Die ökologischen Probleme wachsen also, und der Kampf um Ressourcen wird härter. Man wird nicht „an einer Neuerfindung des Welthandelsregimes vorbeikommen“, so die Autoren. Als Hoffnungsträger lassen sie am Schluss unvermittelt und etwas pathetisch die EU aufscheinen – vorausgesetzt, die Institutionen würden demokratischer. Die Begründung dafür bleiben sie allerdings schuldig. ANNETTE JENSEN
„Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit“. Hg. v. Wuppertal Institut, Beck Verlag, München 2005, 278 Seiten, 19,90 Euro