: Gute Freunde kann keiner trennen
Angela Merkel hat für ihre Außenpolitik kein Konzept. Dabei ist eins klar: Deutschland wird international nur Einfluss haben, wenn es eng mit den USA zusammenarbeitet
So viel Freude war lange nicht in Washington. US-Präsident George W. Bush lobte ausführlich Kanzlerin Angela Merkel, und sie revanchierte sich mit Nettigkeiten über die freundschaftliche Beziehung, die man in den letzten Monaten aufgebaut habe. Offenbar ist vergeben und vergessen, was die atlantische Harmonie vor kurzem noch störte. Der Tenor auf beiden Seiten ist klar: Nach dem Betriebsunfall „Schröder/Fischer“ und angesichts der frustrierenden Irak-Expedition müssen Deutsche und Amerikaner von ihren Sonderwegen zurückkehren.
Das viel beschworene „transatlantische Zerwürfnis“ wird als Episode abgetan und erleichtert zu den Akten gelegt. Dabei verdeckt Frau Merkels geschmeidiges Auftreten eine grundlegende außenpolitische Konzeptionslosigkeit. Viele Probleme im transatlantischen Verhältnis sind ungelöst. Und nach wie vor gilt, dass sich unabhängig von den Machtverhältnissen in Berlin und Washington seit Ende des Kalten Krieges die globalstrategische Lage verändert hat: Das Augenmerk der Weltordnungsmacht USA hat sich vom europäischen auf den arabischen und asiatischen Raum verschoben. Damit einher geht zwingend ein Bedeutungsverlust der deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Die herausgehobene machtpolitische Stellung der USA bedeutet auch, dass die Vereinigten Staaten weiterhin unilateral handeln werden, wenn es um ihre vitalen Interessen geht. Die demokratisierende Vorwärtsverteidigung im Irak fällt ebenso darunter wie die Ablehnung des internationalen Strafgerichtshofs oder des Kioto-Protokolls. Unabhängig von der Person des gefürchteten „Cowboys“ George W. Bush werden amerikanische Präsidenten auch in Zukunft im Zweifelsfall die ineffektive UNO oder störrische Bündnispartner düpieren, um solche Interessen durchzusetzen und in Krisensituationen regulierend einzugreifen. Auf diese problematische Neigung hat die Bundeskanzlerin keine Antwort, und sie kann auch wenig Einfluss nehmen, wie ihre jüngste Kritik an Guantánamo zeigt. Zwar wurde sie im Inland dafür hoch gelobt, und Bush hat sich die warnenden Worte gefallen lassen. Geändert jedoch haben sie nichts.
Doch wieso sollten die Deutschen auch mehr Einfluss haben? Ökonomisch stecken sie in der tiefsten Krise seit 1945, und sicherheitspolitisch sind ihre Möglichkeiten äußerst begrenzt. Die Bundeswehr ist sowohl überfordert als auch chronisch unterfinanziert: Bis zum Jahre 2010 werden weitere 35.000 Stellen der Effizienzsteigerung und Spezialisierung zum Opfer fallen. Angesichts der aktuellen Finanzlöcher im Haushaltsetat ist selbst mit einer moderaten Erhöhung des Verteidigungsbudgets nicht zu rechnen, zumal sie einer militärkritischen Gesellschaft bei gleichzeitiger Kürzung der sozialen Leistungen wohl kaum zu vermitteln wäre.
Währenddessen wächst der Druck auf die Bundesrepublik, sich im Rahmen des „Burden Sharing“ an internationalen Einsätzen zu beteiligen. In diesem Dilemma gefangen irrlichtert die deutsche Außenpolitik, es fehlt der politische Wille zur Mitgestaltung der Welt. Wie auch die jüngste Debatte um einen Einsatz im Kongo beweist, wird die deutsche Rollenfindung auf der Weltbühne von allerlei Peinlichkeiten begleitet.
Statt eine ehrliche Debatte über Nutzen und Möglichkeiten eines solchen Engagements zu führen, schrecken die deutschen Entscheidungsträger vor der Verantwortung zurück und verweisen auf den europäischen Rahmen. Der bietet aber wenig Halt: Spätestens seit dem Scheitern des Verfassungsvertrags ist das europäische Projekt ins Stocken geraten, und schon in der Irakfrage zeigte sich die EU tief gespalten.
Kluge deutsche Außenpolitik sucht daher trotz aller Meinungsverschiedenheiten die Nähe zum schwierigen Freund in Washington. Niemand sonst kann die Stabilität eines internationalen Systems garantieren, von dem gerade die Deutschen in übermäßiger Weise profitieren. Diese unpopuläre Einsicht der eigenen Koalition und den Wählern zu vermitteln ist die außenpolitische Hauptaufgabe Angela Merkels.
Die Umstände dafür sind günstig: Die zentralen Politiker im transatlantischen Verhältnis – Bush, Chirac und Blair – haben das Ende ihrer Amtszeiten vor Augen und sind von innenpolitischen Krisen gebeutelt. Das nimmt dem Willen zur Konfrontation auf allen Seiten die Spitze, und hochfliegende Pläne von weltweiter Demokratisierung oder europäischer Gegenmachtbildung sind vorerst einem nüchternen Pragmatismus gewichen, der Merkels Haltung entgegenkommt. Jetzt müsste sie Führungsstärke beweisen und eine eigene kraftvolle atlantische Position entwickeln, die eine Balance zwischen Europa und Amerika im besten Interesse Deutschlands herstellt.
Dabei erfordert Führung zunächst, dass man sich darüber klar wird, was man will. Das heißt, dass die Bundesregierung die Debatte über die Ziele deutscher Außenpolitik beleben muss. Die ersten Anstöße, wie die Überlegungen des Verteidigungsministers zu einem neuen Weißbuch, sind noch zu zögerlich. Wenn sich Deutschland seiner Interessen und seiner Rolle in der Welt stärker vergewissern würde, wären die tagesaktuellen Krisen leichter zu meistern: Warum genau engagiert man sich im Kongo, mit welchem Ziel? Inwiefern trägt man den harten Kurs einer Isolierung des Irans mit? Wäre eine Atombombe in Händen Ahmadinedschads ein akzeptables Szenario? Und wenn nicht, wie will man es verhindern? In solchen Fragen bleibt der Bundesrepublik derzeit nichts anderes übrig, als auf den Taktstock der USA zu reagieren – eigene Impulse fehlen.
Durch eine Konsolidierung der deutschen Außenpolitik im Sinne einer verbesserten theoretischen Grundlage fiele es leichter, solche Impulse zu setzen und als starker Partner an der Seite der USA und in Europa zu stehen. Leitgedanke sollte sein, dass Deutschland als kontinentaler Anker einer atlantischen Allianz ausgleichend und vermittelnd wirkt. Bezogen auf das Iranproblem bedeutet dies, dass Deutschlands oberste Priorität darin besteht, die (westliche) Staatengemeinschaft zusammenzuhalten.
Dem Iran muss mit Hilfe einer einheitlichen Drohkulisse deutlich gemacht werden, dass er sich zunehmend isoliert. Dies gebietet auch Deutschlands besondere Verantwortung gegenüber dem vom Iran bedrohten Israel. Merkel muss das Kunststück vollbringen, die Eskalationslogik der Amerikaner zu zügeln und zugleich die übrigen großen Mächte darauf einzuschwören, nicht vom Ziel eines Irans ohne Atomwaffen abzurücken.
Selbst wenn dies gelingen sollte, wird die wirkliche Bewährungsprobe für den wiederbelebten Atlantizismus aber erst kommen, wenn die USA erneut ihren weltweiten Führungsanspruch gegen die Vorbehalte der Alteuropäer durchzusetzen suchen. Dann wird sich zeigen, ob der Kanzlerin tatsächlich an einer Erneuerung der deutsch-amerikanischen Freundschaft gelegen ist. JANA PUGLIERIN
PATRICK KELLER