Gutachten zum Klimaschutz: Die neuen Klimaweisen

Sie sind eine Art Öko-Gegengewicht zu den „Wirtschaftsweisen“: Was die neue Plattform Klimaschutz von der Bundesregierung fordert.

Brandenburg, Jänschwalde: Wasserdampf steigt vor Sonnenuntergang aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).

Keine Frage, ob das weg muss, sondern nur, wie: Kohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg Foto: dpa

BERLIN taz | Wenn AkademikerInnen die Politik beraten, wird es oft ein wenig, nun ja, akademisch. Wenn also die neue „Wissenschaftsplattform Klimaschutz“ dazu rät, die Bundesregierung müsse bei ihrer Politik die Menschen mitnehmen und für Zustimmung etwa zu höheren CO2-Preisen oder Tempolimit werben, dann schreibt sie, es sei nötig, „die Resonanzfähigkeit der Klimapolitik zu erhöhen“. Und wenn die ExpertInnen fordern, die Ampelregierung solle Klimapolitik aus einem Guss machen, dann heißt das: „Es bedarf einer in sich kohärenten Klimaschutz-Gesamtarchitektur.“

So steht es im ersten Jahresgutachten der „Wissenschaftsplattform“, das am Freitag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Laut Titel „Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ geben die ForscherInnen Anstöße, wie die Regierung ihr Ziel, bis 2045 die Treibhausgase rechnerisch auf null zu bringen, am besten und effektivsten vorantreiben sollte.

Auf der „Wissenschaftsplattform“ sind VertreterInnen von Forschungsinstituten aus der Naturwissenschaft, den Sozial-, Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften vertreten, um der Regierung Ratschläge für den Weg zur „Grünen Null“ zu geben. Koordiniert wird die Arbeit vom Klimaministerium, inhaltlich sind die ExpertInnen eigenständig.

Neben dem „Expertenrat“ der Bundesregierung, der laut Klimaschutzgesetz immer im Frühjahr begutachtet, ob die CO2-Minderungsziele eingehalten wurden, soll die „Wissenschaftsplattform“ so etwas wie ein Öko-Gegengewicht zu den „Wirtschaftsweisen“ werden.

Die Baustellen der Klimawende

Das erste Jahresgutachten ist ein Rundblick über die dringenden Baustellen der Klimawende, ein „holistischer Gesamtblick“, wie Ottmar Edenhofer es formuliert. Der Ökonom vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK und dem Thinktank MCC ist einer der beiden Vorsitzenden.

Die ExpertInnen mahnen dazu, die deutsche Politik eng mit dem EU-Paket „Fit for 55“ zu verbinden, aber eigene Gesetze auch schon früher zu erlassen. Die Regierung solle zudem auf einen klimagerechten Umbau der EU-Agrarpolitik drängen, den Rahmen für ein nachhaltiges Finanzsystem schaffen, die nötige Infrastruktur für den grünen Wasserstoff aufbauen helfen und die Digitalisierung für den Klimaschutz vorantreiben.

Auch brauche es „transparente Kriterien“, um verschiedene Politikinstrumente zu durchleuchten, ob sie effektiv und effizient für den Klimaschutz arbeiteten: Führen die Maßnahmen zur CO2-Senkung, geht es auch billiger, sind sie rechtlich und politisch durchsetzbar und mehrheitsfähig?

„Klimaneutralitäts-Stresstest“

Das Gutachten fordert bei Bau und Abriss von Infrastruktur einen „Klimaneutralitäts-Stresstest“: Staatliche Projekte müssten darauf überprüft werden, ob sie dem Ziel Klimaneutralität hilfreich sind – oder es blockieren: Eine Generalüberprüfung etwa des Bundesverkehrswegeplans würde so eine Menge Debatten über Straßenbau auslösen.

„Die Ob-Frage zum Klimaschutz ist geklärt“, sagt Edenhofer zur taz. Es herrsche weitgehend Einigkeit, dass der Ausbau der Erneuerbaren verdreifacht werden, die Planung dafür schneller gehen müsse, dass grüner Wasserstoff in großen Mengen nötig sei und die Zukunft der Mobilität in E-Autos und nicht in synthetischen Verbrennungsmotoren liege. „Aber“, so Edenhofer, „in den Wie-Fragen gibt es viel zu diskutieren“.

Etwa, wie viel grünen Strom Deutschland importieren solle, wie grün der Wasserstoff am Anfang sein müsse oder wie genau es mit dem CO2-Preis weitergehe. Das Papier spricht sich deutlich für einen nationalen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude aus, der auch EU-weit kommen solle.

Auch andere „heiße“ Eisen packt das Gutachten an: So müsse es eine deutsche Strategie zum Umgang mit „negativen Emissionen“ geben, mit denen CO2 in natürlichen oder technischen Senken (Wäldern oder mit CCS verpresst) gebunden werde.

Flexible Sektorziele

Der technische Fortschritt solle grundsätzlich durch „Technologieoffenheit“ befeuert werden – aber manchmal sei es eben auch gut mit der Debatte. Zum Beispiel dann, wenn vorhandene grüne Technik sofort eingesetzt werden müsse und ein „Abweichen vom Prinzip der Technologieoffenheit in der Realität notwendig sein kann“. Das kann man so lesen, als machten sich die ExpertInnen dafür stark, in der Mobilität auf E-Autos zu setzen und nicht auf den synthetischen Verbrenner.

Schließlich empfehlen die BeraterInnen, die Regierung solle im Klimaschutzgesetz „die Sektorziele flexibilisieren“ – wenn also etwa Verkehr und Gebäude die Vorgaben nicht schaffen, sollten andere dafür mehr machen. Das würde die strikte Vorgabe nach Jahren und Sektoren auflösen und ist ein Vorschlag, für den die Grünen im Koalitionsvertrag noch viel Kritik ernteten. Der Vorwurf damals: „Aufgabe der Klimaziele“.

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