: Gummibrötchen gegen Einsamkeit?
■ Finnische Zensur stoppt Reklamefilm für Hamburger In Schweden Schlangestehen nach zensierten Filmszenen
Stockholm. Ein Junge zieht zusammen mit seiner Familie in einen fremden Ort, in dem er noch keine FreundInnen hat und sich entsprechend einsam fühlt. Da nehmen ihn seine fürsorglichen Eltern mit ins nächste McDonald's-Restaurant und da wird er wieder froh.
Dieses kleine Werbefilmchen, das vor allem im Fernsehen zu sehen war, hat die HüterInnen sauberer Reklamesitten in Finnland nicht ruhen lassen. Umgerechnet fast 100.000 DM wurden McDonald's angedroht, falls das Kunstwerk nochmals auf den Bildschirmen flimmern sollte. In primitiver Weise werde das bei Jugendlichen weit verbreitete Einsamkeitsgefühl ausgenutzt, kann man der Verbotsbegründung entnehmen. Es werde so getan, als ob der Konsum von Hamburgern Freunde und Freundinnen ersetzen könne: Gummibrötchen und Dressing gegen Einsamkeit. Solche Logik sei zumindest in einem Film, der sich ganz überwiegend an Jugendliche wende, aber nicht zulässig.
Ob McDonald's jetzt in die Instanzen geht, vielleicht mit einem wissenschaftlichen Gutachten, das den positiven Effekt vom Hamburgerkonsum gegen Einsamkeitsfrust belegt, ist nicht bekannt.
Über ganz andere Probleme - es gibt hier noch keine TV -Werbung - plagen die KollegInnen der schwedischen Zensurbehörde. Nach dem Zensurgesetz müssen alle Szenen, die der ZensorInnenschere zum Opfer fallen, öffentlich zugänglich aufbewahrt werden. Öffentlichkeitsprinzip nennt sich das: Alles, was keinen Geheimstempel trägt, von der Post des Ministerpräsidenten bis eben hin zu zensiertem Zelluloid muß für jede SchwedIn einsichtig bereit gehalten werden. Sind bei der Regierungspost die JournalistInnen die eifrigsten MitleserInnen, hat seit einiger Zeit auch die Filmzensurbehörde ganz spezielle StammkundInnen: Jugendliche, die sich für die geschnittenen Sex- und Gewaltszenen interessieren.
Ob dies denn Rechtens sein könne, wollte in der Reichstagsfragestunde letzte Woche eine Abgeordnete von Kultusminister Göransson wissen. Das neue Ausflugsziel habe sich mittlerweile unter Stockholmer SchülerInnen herumgesprochen, es gebe an manchen Tagen einen regelrechten Run auf das Zensurbüro. Das primäre Ziel der SchülerInnen sei es offensichtlich nicht unbedingt, das schwedische Öffentlichkeitsprinzip zu studieren, sondern die „Szenen“. „Saustark“ und „Wahnsinn“ seien folglich die gängigsten Wörter, die das Personal von den am Öffentlichkeitsprinzip Interessierten zu hören bekomme.
Minister Göransson mußte die Fragesteller enttäuschen: Das Öffentlichkeitsprinzip sei heilig, Schwedens BürgerInnen müßten auch in Zukunft uneingeschränkt den ZensorInnen auf die Finger schauen können. Einen Trost hatte der Kultusminister allerdings schon parat: Die ganz schlimmen Streifen, die vom Zensurbüro gleich insgesamt verboten werden, die würden nicht aufbewahrt, sondern gleich an den Filmvertrieb zurückgeschickt. Die könne dann keinE noch so sehr am Öffentlichkeitsprinzip InteressierteR sich reinziehen.
Reinhard Wolff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen