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Gülden bekränzt

Sanft kritisch nach allen Seiten: „Der Cid“ von Pierre Corneille in der Regie von Alexander Lang am DT  ■ Von Petra Kohse

Chimène liebt Rodrigo. Das ist schön. Und Rodrigo liebt Chimène. Noch schöner. Aber Rodrigo liebt auch seinen Vater, und der wurde von Chimènes Vater geohrfeigt. Das wäre nun nicht weiter schlimm, spielte dieser Fall nicht im 11. Jahrhundert, als Liebe und Ehre die Leidenschaften noch gleichermaßen beschäftigten und zur Ehre, zumal zur verletzten Ehre, notwendig die Rache gehörte. Da Rodrigos Vater zu alt ist, um selbst noch zum Degen zu greifen, läßt er das seinen Sohn für sich tun. Dieser bringt den Beleidiger um, woraufhin nun Chimène seinen Kopf beim König fordern muß, obwohl sie ihn liebt. Aber da Rodrigo gleich nach dem fatalen Duell das spanische Reich erfolgreich gegen die Mauren verteidigt, setzt der König alles daran, den Tod seines Helden zu verhindern.

Pierre Corneilles Drama „Der Cid“ von 1636 basiert auf einer spanischen Legende. Hinzugefügt hat er die moralische Dimension durch den Gefühlswiderstreit der Liebenden und eine politische Lehre, indem er der Blutrache- Ideologie der alten Höflinge den auf staatsmännischer Taktik beruhenden Humanismus des Königs entgegensetzt. So etwas sieht man immer wieder gerne. Da wird gestritten, gelitten, geseufzt und diplomatisch entschieden. Das ist weit genug entfernt, um unterhaltsam zu sein, und doch irgendwie auch immer übertragbar – ein Stück fürs Repertoire. In einer weitgehend entpathetisierten Neuübersetzung von Simon Werle wird dieser klassisch aufbereitete Mantel-und-Degen-Stoff jetzt im Deutschen Theater gespielt.

Jörg Gudzuhn trägt als Rodrigo zwar den Degen an der Seite, den Mantel hat er sich aber nur lässig über die Schulter gelegt. Und mit Chimène kabbelt er sich um ein Messer, das sie ihm in die Rippen stoßen soll, da sie ihn als ihres Vaters Mörder nicht mehr achten kann. Als Kriegsmann schließlich führt er beim König ein kleines Indianertänzchen auf und deutet einen Orgasmus an, als er vom Hergang der Schlacht erzählt.

In der Regie von Alexander Lang wird die Figur des Dreifach- Helden gleich mehrmals gebrochen. Gudzuhn nimmt die Rolle ernst und distanziert sich gleichzeitig von ihr: eine Mischung aus schlaksig-schlenkrigem spanischem Beau, einem späten Romeo und einem Pubertierenden, der gerade das Spielzeug Krieg entdeckt hat. Das ist ebenso amüsant wie Dagmar Manzels leicht selbstironische Distinguiertheit, mit der sie die zwischen Tochterpflicht und Liebesschmerz zerrissene Chimène spielt. Dieses Paar wird von Lang nur kommentiert, ein anderes jedoch regelrecht bloßgestellt: Die beiden ehrversessenen Alten liefern sich einen Hahenkampf um die größeren Verdienste, in dessen Verlauf sie immer infantiler werden. Kurt Böwe und Dietrich Körner machen das ganz wunderbar. Die ohnehin mächtige Brust schwillt Böwe als triumphierendem, weil gerächtem Vater später dann fast bis unters Kinn.

Volker Pfüller hat eine praktikable Bühne gebaut, die die Hermetik eines spanischen Kastells zitiert und durch Säulen, Durchgänge und eine Treppe gleichzeitig konterkariert: der geeignete Raum für ein Drama des Wertewandels, für den Übergang vom Zeitalter der verbissenen Kleinkriege in das der Diplomatie. Horst Hiemer spielt den König streng in Schwarz- Rot (sogar die Füße stecken in schwarzen Schuhen mit roten Absätzen): die Überparteilichkeit in Person und doch ein sich windender Aal im Dienste seiner außenpolitischen Expansionsgelüste.

Das ist alles so schlüssig und einsichtig bis ins offene Ende hinein (Rodrigo wird wieder in den Krieg geschickt, und Chimène erhält weitere Bedenkzeit), das ist so gut gespielt und erhielt auch seinen verdienten Beifall, daß nur notorische Nörgler auf die Idee kommen könnten, dies sei verdächtig in seiner Allgemeinheit und sanften Kritik nach allen Seiten. Da seufzt man an der Schreibmaschine und sinnt dem letzten Bild nach, in dem Gudzuhn, in seinen blutbekleckerten Hosen und mit güldenem Lorbeer bekränzt, alleine auf der Bühne steht, im Gewitter aller Lichteinstellungen des Abends. Wie wahr, wie schön, wie zeitlos und unveränderbar. Vorhang.

„Der Cid“ von Pierre Corneille, Regie: Alexander Lang, Bühne: Volker Pfüller. Mit Kurt Böwe, Cathlen Gawlich, Jörg Gudzuhn, Horst Hiemer, Dietrich Körner, Udo Kroschwald, Dagmar Manzel, Simone von Zglincki u.a. Nächste Vorstellungen am 15. und 30.12., 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Mitte.

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