piwik no script img

Guatemala: Wahl ohne Auswahl

Zwölf Bewerber mit weitgehend gleichen neoliberalen Wirtschaftsprogrammen kandidieren für das Amt des Staatspräsidenten/ Exdiktator Rios Montt will die Wahl annulieren lassen/ Guerilla ruft zum Wahlboykott auf  ■ Aus Guatemala Ralf Leonhard

Auf den Märkten in der guatemaltekischen Provinz gehören die fahrenden Apotheker als fester Bestandteil zum farbenprächtigen Bild geschäftigen Treibens. Per Lautsprecher preisen sie Arzneimittel dubiosen Ursprungs oder mit abgelaufenem Verfallsdatum an. Sie versprechen den staunenden Bauern die sofortige Heilung ihrer Nierenleiden und Migräne, unfehlbare Abhilfe für Schweißfüße und Potenzprobleme.

Ein ähnliches Bild geben die Politiker ab, die hier am Sonntag zum Staatspräsidenten gewählt werden wollen. Die Spitzenreiter in einem Feld von zwölf Kandidaten versprechen dem ungläubigen Volk den Ausweg aus der Wirtschaftskrise, die nächstes Jahr unweigerlich in den Staatsbankrott münden wird, die Einkehr von Ordnung und Sicherheit in eine Gesellschaft, die sich in einer Orgie von politischer Gewalt und gemeiner Kriminalität selbst zu zerfleischen scheint, und die Beendigung eines seit 30 Jahren tobenden Guerillakrieges. Als Rezepte bieten sie neoliberale Wirtschaftsprogramme, die in anderen Ländern des Kontinents die Bresche zwischen der Masse der Armen und der kleinen Elite der Reichen noch vergrößert haben, und vage Gesten der Versöhnung, die Generationen alten Haß verschwinden machen und unvereinbare Lebensphilosophien unter einen Hut bringen sollen.

Zweifel und Besorgnis dürften die vorherrschenden Gefühle nicht nur bei der marginalisierten indianischen Bevölkerungsmehrheit, sondern allgemein bei der Mehrheit der 3,2 Millionen Wahlberechtigten sein, die am Sonntag einen neuen Präsidenten, 130 Parlamentsabgeordnete und 300 Bürgermeister wählen sollen. Ungewiß ist, ob ein regulärer Urnengang überhaupt stattfinden kann. Denn Alfonso Cabrera, der Kandidat der regierenden Christdemokraten, liegt sterbenskrank in einer Klinik in Texas, und keiner kann garantieren, daß er den Wahltag noch erlebt. Und General Rios Montt, der ursprünglich aussichtsreichste Bewerber um die Präsidentschaft, der als ehemaliger Diktator gar nicht teilnehmen darf, hat die Annullierung des bevorstehenden Wahlgangs wegen eines Formfehlers im Wahlregister beantragt. Wenige Tage vor dem 11. November hatten sich fast 30 Prozent der Wahlberechtigten noch für keinen der zwölf Kandidaten entschieden. Rios Montt forderte seine Anhänger auf, seinen Namen auf die Stimmzettel zu schreiben oder ihre Stimme auf andere Art zu annullieren. Und die Guerillafront URNG, die in den letzten Wochen vor allem durch Sabotageakte auf sich aufmerksam macht, empfiehlt Wahlenthaltung, denn unter den gegebenen Umständen seien die Wahlen kein Mechanismus, „der die schweren Probleme der Bevölkerungsmehrheit lösen kann“. So gut wie sicher ist, daß keiner der Kandidaten auf Anhieb die absolute Stimmenmehrheit, die eine Stichwahl am 6. Januar überflüssig machen würde, erreichen wird.

Ramiro de Leon Carpio, der Chef der von Präsident Cerezo geschaffenen Menschenrechtsanwaltschaft, freut sich, daß erstmals in diesem Jahrhundert ein ziviler Präsident nicht nur seine Amtszeit vollenden, sondern auch die Regierung an einen frei gewählten Zivilisten als Nachfolger übergeben kann. Doch angesichts der trostlosen Perspektive fragt er sich gleichzeitig, ob nicht ein Staatsstreich besser für das Land wäre: „Damit würden wenigstens klare Verhältnisse geschaffen.“ Denn von allen Parteien böten einzig die Sozialdemokraten und die Christdemokraten ein Programm, das die wirtschaftliche und politische Situation der Bevölkerungsmehrheit zu verbessern verspricht: „Die Sozialdemokraten sind leider in aussichtsloser Position, und die Christdemokraten haben ihre Versprechen gebrochen.“ Durch Korruption und wirtschaftliches Versagen hat sich die Regierung hoffnungslos diskreditiert. Alfonso Cabrera lag in den Umfragen schon abgeschlagen an vierter Stelle, bevor er Ende Oktober nach einem Bacchanal kollabierte und mit Bauchspeicheldrüsenkrebs in eine Klinik in Houston eingeliefert wurde.

Privatleute, durch Steuerforderungen des Staates verärgert, greifen direkter als je zuvor in den Wahlkampf ein. Eine Gruppe von Unternehmern, die sich den Namen „Piramide“ gegeben hat, gab bei den US- amerikanischen Wirtschaftsexperten Harberger und Fontaine, die schon den chilenischen Diktator Pinochet wirtschaftlich berieten, ein Strukturanpassungsprogramm in Auftrag. Piramide investierte in die Kampagnen aller Kandidaten, die Aussichten haben, die Christdemokraten aus dem Sattel zu heben. Die von ihnen Unterstützten, Carpio, Arzu und Elias, haben die Privatisierung von Staatsbetrieben, größere Unternehmerfreiheit und geringere Steuern auf ihre Fahnen geschrieben und angelten sich, um ganz sicher zu gehen, Unternehmer als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Alle sind sie Vertreter der neuen Rechten, die mit dem Schema der pistolenschwingenden Rechtsextremen des Landes gebrochen haben.

Daß Efrain Rios Montt, der rund zehntausend indianische Bauern als Opfer einer Anti-Guerilla-Kampagne auf dem Gewissen hat, die Macht gewaltsam an sich reißen könnte, wird allgemein ausgeschlossen. Denn die Anhänger des Exdiktators und Sektenpredigers sind wenig organisiert, und die mittleren Offiziere, die mit dem strammen General sympathisieren, können sich gegen die verfassungstreuen Obristen im Generalstab nicht durchsetzen. Die hohen Militärs geben sich damit zufrieden, weiterhin hinter den Kulissen Politik zu machen. Der militärische Geheimdienst G-2 nimmt es sich nach wie vor heraus, politisch Suspekte einfach zu liquidieren. Und in den Operationsgebieten der Guerilla haben die zivilen Behörden wenig zu reden. Vinicio Cerezo ist es nicht gelungen, diese Strukturen zu verändern, und auch der zukünftige Präsident wird damit leben müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen