: „Gruselige“ Wahl
■ Großes Sicherheitsaufgebot bei Kommunalwahl in DDR / Beschwerden und Proteste unerwünscht
„Von der Sowjetunion lernen heißt wählen lernen“ - hieß die Parole aus oppositionellen Kreisen für den gestrigen Wahltag in DDR. Über 12 Millionen DDR-Bürger waren aufgerufen, die Kandidaten der Einheitsliste für die kommunalen Parlamente zu wählen. Von frischem Ostwind aber war bei den gestrigen Wahlen nichts zu spüren. „Atmosphärisch ist es richtig gruselig“, berichtete gestern ein Ost-Berliner über die Stimmung im andern Teil der Stadt, insbesondere im Prenzlauer Berg. Wähler seien zwar kaum auf den Straßen zu sehen, dafür aber um so mehr Sicherheitskräfte in Zivil, die in Dreiertrupps vor allem vor den Wahllokalen patrouillierten. Bereits im Vorfeld der Wahlen wurden strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Demonstrationen von unabhängigen und kirchlichen Gruppen zu verhindern und „Schmierereien mit staatsfeindlichem antisozialistischem oder defätistischem Inhalt zu vereiteln“.
Bis Redaktionsschluß verlief die Wahl weitgehend ohne Störungen. Trotz des Rechts auf geheime Wahl blieben die meisten Wahlkabinen unbenutzt, die meisten warfen den Stimmzettel in aller Öffentlichkeit in die Wahlurne. In den Sonderwahllokalen, in denen vor dem gestrigen Wahltag der Stimmzettel abgegeben werden konnte, soll es nach Berichten westlicher Beobachter jedoch teilweise lange Schlangen vor den Wahlkabinen gegeben haben. In einem dieser Wahlokale mußte ein Ost-Berliner zu seiner Überraschung feststellen, daß der Wahlzettel eines anderen Wahlbezirks auslag. Als er sich darüber beschwerte, wurde er angebrüllt und schließlich von der Volkspolizei abgeführt. StudentInnen der Technischen Universität in Dresden wurden aufgefordert, die Sonderwahllokale nicht zu benutzen. Nach Einschätzung westlicher Beobachter soll damit ihr Wahlverhalten besser kontrolliert werden. Kirchliche und unabhängige Gruppen wollen in rund 300 Ost-Berliner Wahlokalen die Auswertung der Wahlergebnisse mitkontrollieren, um damit Wahlfälschungen zu verhindern. Einer solchen öffentlichen Auszählung beizuwohnen, wurde bereits in Rostock verweigert.
taz (Siehe auch Seite 6)
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