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Grunge-Entlein zu verschenken

■ Sauber eingefädelter Gefühlsstau – „True Romance“ von Tony Scott

Daß im amerikanischen Film die ungelenk herumspukenden Liebesenergien immer sehr schnell geordnet werden wollen, ist ein Problem im Umgang mit jugendlichem Expansionsbedürfnis. Von James Deans schüchternem Gebändel mit Liz Taylor in „Giganten“ bis hin zu Matt Dillons ernsten Familiengründungsabsichten, an denen der Übermut von „Rumblefish“ letztendlich nicht anders als bei „Menace II Society“ gebrochen wird, bleibt die Ordnung ein Leitmotiv des sexuellen Ausflippens. Alle Übertretung soll beim Betrachter den drohenden Verlust von Einfühlung provozieren und dabei zeigen, daß Sex mehr eine Übersprungshandlung auf dem Weg zur Erwachsenen-Bildung ist. Wehe dem, dessen Faden reißt.

Auch das Paradepaar von „True Romance“ hat es furchtbar eilig, zu heiraten. Quasi über Nacht lernt Clarence Worley (Christian Slater) die Part-time-Prostituierte Alabama – Rosannas kleine Arquette-Schwester Patricia – im Kino kennen und für eine halbe Ewigkeit im verrückt eingerichteten Jungszimmer eines Detroiter Ghettos lieben. Als geburtstäglicher Verschenk-Fick von seinem Arbeitgeber angeheuert, zeigt Alabama Reue nach Dienstschluß und will den spinnerten Comic- Verkäufer nie wieder verlassen, wie sie sagt. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Romanze von häßlichen Entlein im Grunge-Style oder als Neuauflage von „Sid & Nancy“ sein, wäre nicht das Problem, daß sie schon anderweitig gebunden ist. Daheim wartet ihr Zuhälter.

Frau, Mann und jede Menge Kapital

Unerfahren, wie ein Jugendlicher vom Schlage Clarence Worleys eben ist (ernsthaft glaubt er bis zum Ende des Films an die Ratschläge eines Elvis-Imitators, der ihm meistens beim Pinkeln erscheint), schießt er dem Ausbeuter seines geliebten Leibes in den Rastalocken-Kopf und macht sich ziemlich sorglos mit einem Koffer voll Kokain und der frisch entsühnten Liebe aus dem Staub nach Los Angeles. Eine Frau, ein Mann und jede Menge Kapital – der Film erzählt euphorisch, daß es noch immer unbegrenzte Möglichkeiten gibt, wenn sich Sex und Crime vermischen.

Doch zunächst scheint sich nur alles wie ein als Honeymoon-Reise getarnter Road-Movie zu entwickeln. Slater und Arquette haben wilden Verkehr in einer Telefonzelle am Highway, der Pink Cadillac rollt gen Westen, die Musik dazu stammt von Aerosmith, Billy Idol und – in den traurigeren Momenten der True Romance – von Chris Isaac. Doch im letzten Wagen der Kolonne fährt die Drogen- Mafia hinterher. Bis zum Showdown à la Peckinpah bleibt die Gesellschaft der wirklich Bösen (allesamt Erwachsene vom Schlage etwa eines Christopher Walken als Oberdealer) auf Distanz, während das Pärchen seine Kräfte austestet. Die Welt der Liebenden funktioniert zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt jedoch nicht im unsteten Beben der Darstellung wechselhafter Situationen, sondern so mechanisch wie das Klackern von Billardkugeln im Bild des Kausalphilosophen d'Holbach – wie eine Black Box zur Erforschung von Gefühlen.

Tatsächlich führt der Film ohne jede Untergründigkeit Protokoll darüber, „wie für die Liebe jener unbedingte, absolute Anspruch zu retten sei, den es sonst nur in den Texten von Elvis Presley gibt und in den Schwüren nach der ersten Liebesnacht“, so der Spiegel. Seit Marivaux hat sich nichts geändert. Das Außen dringt lediglich momenthaft ein, damit sich die Protagonisten ihre Zuneigung beweisen dürfen. Wenn Alabama den väterlichen Mafiosi tötet, dann einzig, weil sie in dem gewaltsamen Coming-out eine Chance für die Zukunft mit Clarence sieht – sie tut es nur für ihn, womit bereits die Rollen verteilt sind, während er kurz Hamburger holen fährt. Das ist ein eher verzweifelter Versuch, mit dem man „falschen Stereotypen von Frauen“ (The Face) im jungen Hollywood-Film begegnet – zumindest, wenn ältere Männer wie Tony Scott Regie führen, dessen Einfühlungsvermögen ins wenigstens symbolisch Jugendhafte schon bei „Top Gun“ eher begrenzt war. Auch von Quentin Tarantinos Bemühungen um ein halbwegs authentisch-derb-charmantes Drehbuch merkt man in der splatterigen Trashpop-Großproduktion wenig. Wo er als Regisseur von „Reservoir Dogs“ den stumpfen Terror in geschlossenen sozialen Nischen parodiert hatte, bekommt „True Romance“ den Beigeschmack eines Wir-haben- es-eigentlich-gar-nicht-so-Gewollt. Zum Abspann sind Arquette und Slater als nachwuchsgestärkte Kleinfamilie am Strand vereint: Es war schon eine verrückte Zeit irgendwie, bleibt als dünnes Resümee aus dem Munde Alabamas offen im Raum stehen. So ist das eben mit der Jugend. Daß trotzdem hinter jedem Hamburger der Tod gelauert haben mag, bloß weil es das Prinzip der Spannung verlangt hatte – dafür braucht man eigentlich keine Subkultur-Spielchen dieser Welt herbeizitieren. Aber vielleicht wollen Grunge-Typen das ja so. Harald Fricke

„True Romance“, Regie: Tony Scott, Buch: Quentin Tarantino, Mit: Christian Slater, Patricia Arquette, Dennis Hopper, USA, 1993, 110 Min.

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