Grüne und EU-Asylrecht: Grüne im Regen
Die SPD feiert sich für das angebliche Machtwort des Kanzlers in der EU-Asylpolitik. Die Grünen müssen wider ihre Überzeugung klein beigeben.
R ückwirkend wirkt es wie ein Akt der Verzweiflung. Vor einer Woche warnte Außenministerin Annalena Baerbock noch eindringlich vor der geplanten „Krisenverordnung“ der EU. Diese könne Länder an den Außengrenzen dazu motivieren, im Krisenfall wieder eine große Zahl nicht registrierter Flüchtlinge nach Deutschland weiterzuleiten, brachte sie als neues Argument vor. Bis dahin hatte sich ihre Kritik auf humanitäre Härten beschränkt. Doch Baerbocks Appell an das nationale Interesse verhallte wirkungslos.
Noch im Juli hatten Innenministerin Nancy Faeser und Baerbock die Krisenverordnung gemeinsam abgelehnt, was die Verhandlungen über ein neues EU-Asylsystem monatelang blockierte. Am Donnerstag stimmte Faeser in Brüssel der Krisenverordnung zu. Faeser ist still und leise umgeschwenkt, die Grünen stehen im Regen. Während die SPD ihr Umfallen als Resultat eines angeblichen “Machtworts“ von Olaf Scholz verkauft, wofür er vom Boulevard gefeiert wird, hat es den Grünen die Sprache verschlagen.
Die geplanten Änderungen des europäischen Asylsystems lehnen sie ab. Aber die Koalition deshalb aufkündigen, das wollen sie auch nicht. Darum fügen sie sich in das Unvermeidliche. Nur will das so deutlich niemand sagen. Stattdessen leugnen manche Grüne, dass es ein Machtwort gab, und Baerbock behauptet, sie und Faeser hätten noch weitreichende Änderungen in die Krisenverordnung „hineinverhandelt“. Doch davon ist wenig zu sehen.
Italien gehen die deutschen Zugeständnisse noch nicht weit genug. Die rechte Regierung in Rom will verhindern, dass Deutschland zivile Seenotrettung im Mittelmeer finanziert. Das Ende der Fahnenstange ist also noch nicht erreicht. Europa rückt nach rechts, die Grünen können daran wenig ändern. Es wäre besser, diese Realitäten anzuerkennen und zu benennen als falsche Erwartungen zu wecken. Die Menschenrechte von Flüchtlingen stehen in Europa nicht mehr hoch im Kurs. Das ist bitter, aber nicht allein das Versagen der Grünen. Sondern auch das von SPD, FDP und Union.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern