Grüne über ihren Job als Landrätin: „Die Loyalität ist enorm“
Anna Kebschull ist die neue Landrätin im Landkreis Osnabrück – und damit in Deutschland die erste Grüne in dieser Position.
taz: Frau Kebschull, in wenigen Tagen beginnt das neue Jahr. Haben Sie Vorsätze? Ganz persönlich?
Anna Kebschull: Das ist bei uns eher etwas Familiäres. Wir überlegen uns für jedes neue Jahr ein neues Motto. Das „Jahr der Veränderungen“, das „Jahr des Viel-Draußen-Seins“.
Und beruflich?
Ich habe Pläne, Ziele. Aber die habe ich nicht wegen des neuen Jahres, sondern weil es Handlungsbedarf gibt, und das dringlich. Deshalb habe ich ja auch kandidiert. Weil wir einen Wandel brauchen. Hier im Kreis, aber auch gesamtgesellschaftlich.
Sie wollen „den Politikstil verändern“, haben Sie nach Ihrer Wahl geschrieben. Was meinen Sie damit?
Die Rückkehr zu sachorientiertem Arbeiten, bislang ging es ja oft nur um Machtoptionen. Wichtig ist mir vor allem, dass der Umgang miteinander fair ist, mitmenschlich, nicht nur strategisch, nicht nur Kalkül.
Sind die bisherigen Strukturen destruktiv?
Gute Impulse wurden oft abgelehnt, nur weil sie aus der falschen Fraktion kamen, und ein halbes Jahr später wurden sie von denen, die sie zuvor abgelehnt hatten, als eigener Antrag eingereicht, als eigene Idee. Ein sehr machttaktischer, aber leider üblicher Stil.
Sie mahnen „klare Linien und pragmatische Lösungen“ an. Hat es viel Kungelei gegeben?
Die gab es. Klar, auch jetzt gibt es vertrauliche Runden, und das ist auch notwendig. Aber es gibt kein Aushecken im Hinterzimmer mehr. Man kennt das ja: Wenn du mich bei X unterstützt, unterstütze ich dich bei Y. Einen solchen Kuhhandel finde ich nicht in Ordnung. Der Wähler muss sehen, wo wer steht. Das habe ich mir als Wähler immer gewünscht – und nicht gefunden. Da müssen wir mutiger werden, transparenter.
46, geboren in Siegen, ist Landrätin des Landkreises Osnabrück. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt und Energie, Bildung, Wirtschaft und Bürgerbeteiligung. Kebschull ist Biotechnologie-Ingenieurin und führte bis zu ihrer Wahl zur Landrätin drei Nachhilfeschulen, die sie nun aber abgegeben hat. Sie hat drei Kinder.
Sie haben ja keine wirkliche Hausmacht im Kreistag: Die Grünen haben sieben Sitze – CDU und SPD, die lange eng zusammengearbeitet haben, 49.
Das ist natürlich ein Manko. Klar, ich werde nicht immer mit allem durchkommen, was ich vorlege. Aber allein das Was und Wie eines Vorschlags, einer Diskussion, setzt ja oft schon Veränderungsprozesse in Gang. Im Moment spüre ich in allen Fraktionen ein Aufatmen, dass es jetzt endlich wieder um Fachfragen geht, um die Sache selber. Politische Mehrheiten sind also nicht unbedingt das Entscheidende. Ein Anfang ist gemacht, und jetzt muss man einfach Geduld haben. Außerdem steht ja 2021 die Kommunalwahl an. Die wird sicher zu Veränderungen führen.
Dass eine neue Zeit angebrochen ist, haben Sie jüngst gezeigt: Bei einer Ehrung von Ehrenamtlichen bekamen diese keine Tankgutscheine, wie zu Zeiten Ihres Vorgängers von der CDU, sondern Lebensmittelkörbchen aus dem Bioladen.
Das war eine Idee meiner Mitarbeiter und gerade das finde ich toll. Eine Kleinigkeit nur, aber sie zeigt, dass hier im Haus jetzt ganz selbstständig durch meine Impulse drüber nachgedacht wird, was sich verändern lässt. Meine Wahl setzt offenbar neue Denkmechanismen in Gang. Das ist schon cool.
Es herrscht Aufbruchsgeist?
Absolut. Natürlich ändert sich nicht alles von heute auf morgen. Da sind alte Muster, Strukturen, Gewohnheiten, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ein neuer Stil gefunden ist.
Auch mit Ihrem Dienstwagen setzen Sie ein Statement: Er ist ein E-Mobil. Eine Neuanschaffung?
Den hatte der Landkreis schon und der ist super. Klar, allzu geräumig ist er nicht. Es lässt sich aber gut darin arbeiten, wenn ich von Termin zu Termin unterwegs bin. Das ist übrigens keine Showveranstaltung, die meisten kriegen ja gar nicht mit, mit was für einem Wagen ich komme.
Sie kämpfen schon lange gegen fossile Energien. 2010 haben Sie ExxonMobil zu Fall gebracht, durch Ihre Bürgerinitiative „Fracking freies Bad Rothenfelde“. Ergebnis: Keine Bohrungen.
Ja, das Thema liegt mir am Herzen.
Sind Sie deshalb vor zehn Jahren auch bei den Grünen eingetreten?
Das war eine Reaktion auf den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Ich war frustriert, geschockt. Bis heute macht mich das sprachlos. Ich muss Farbe bekennen, habe ich damals gedacht, ich muss etwas tun! Das war auch ein Hilflosigkeitsimpuls.
Sie sind Biotechnologie-Ingenieurin, waren lange Inhaberin dreier Nachhilfeschulen. War eine Berufslaufbahn in Politik und Verwaltung nie Ihr Plan?
Überhaupt nicht. Ich habe ohnehin nie sonderlich geplant. Ich bin immer dem gefolgt, was mich bewegt hat, oft sehr spontan. Vor allem Menschen waren mir immer wichtig. Daher auch der Schwenk von den Naturwissenschaften zur Nachhilfe, zur Arbeit mit Kindern.
Waren Sie früh ein politischer Mensch?
Das hat in der Schule angefangen. Ich bin in Bonn aufgewachsen, und wenn ich aus der Schuleingangstür ging, war links von uns das Regierungsviertel und rechts der Hofgarten, mit seinen Veranstaltungen und Demos. Bei Staatsbesuchen wurde bei uns vor der Schule immer beflaggt. Bundes- und Außenpolitik war bei uns Alltag. Zu einem Mitschüler habe ich aus Spaß mal gesagt: Ich werde Politikerin! Bundeskanzlerin!
Kann ja noch kommen.
Wirklich als Politikerin gesehen habe ich mich allerdings nie. Immer als Unternehmerin. Als aktive Bürgerin. Und vor allem als Mama.
Und jetzt führen Sie eine Verwaltung mit 1.200 Mitarbeitern. Wie fühlt sich das an?
Gut. Es ist natürlich viel Verantwortung. Aber ich habe immer gern Verantwortung übernommen. Und ich empfinde es als Geschenk, weil es mir die Möglichkeit gibt, etwas zu verändern. Und weil ich mich hier im Haus so überraschend unterstützt fühle. Da ist viel Neugier, Offenheit und Kommunikation, da sind gute Ideen; die Loyalität ist enorm.
Aber sicher begegnet Ihnen nicht nur Sympathie?
Klar, ich mache mir hier nicht nur Freunde. Ich bin nicht everbody's darling, und das möchte ich auch gar nicht sein. Ich bin Grüne. Ich bin also gewohnt, mit Skepsis umzugehen, mit Abwehr. Und in den sozialen Medien wird schon ganz schön draufgehauen, pauschalisiert, da wollen viele gar nicht genau wissen, was ich meine, was ich bin, die sehen mich auch gerne als Feindbild. Aber damit kann ich umgehen.
Ihr Ziel ist eine Region, die „Vorreiter ist in ressourcenschonendem Denken und Handeln“. Ist das nicht schwer in einem Landkreis, dessen Agrarwirtschaft von Massentierhaltung geprägt ist?
Das ist ein Spagat. Aber nur, weil wir eine zu hohe Viehdichte haben, heißt das ja nicht, dass wir von heute auf morgen Ställe schließen oder Landwirten ihre Entwicklungsmöglichkeiten nehmen. Da gilt es, einander zuzuhören und gemeinsam ein Szenario zu entwickeln, wie man umsteuert, ohne die Wirtschaftlichkeit zu verlieren.
Weniger Quantität, dafür mehr Qualität – für höhere Preise?
Ja, auch der Verbraucher muss sich da umstellen. Generell müssen wir erkennen: Reines Wachstumsdenken tut uns nicht gut. Das lässt sich ja nicht unendlich fortsetzen, das kollabiert irgendwann. Deshalb ist es wichtig, umzudenken. Gerade in unserer Region, in der wir mit dem Ressourcenverbrauch schon zu weit gegangen sind.
Hinter Ihrem Schreibtisch hängt ein riesiges Bild. „Best wishes for the unexpected“ steht darauf. Nehmen wir das mal als Stichwort: Was ist Ihr größter Wunsch?
Dass die Menschheit doch so vorausschauend ist, dass sie nicht erst handelt, wenn das Haus vollends in Flammen steht, dass sie mit Mut zur Veränderung die richtigen Weichen stellt.
Im Internet haben Sie Bilder von Bergen gepostet. Wo ist das eigentlich? In den Dolomiten?
Ja, das ist Südtirol. Die Rosengartengruppe.
Ziehen die Berge Sie besonders an?
Ja, aber auch der Wald. Ich habe auch früher schon immer das Unberührte gesucht. Ich gehe lieber kleine Pfade als ausgetretene Wege, und die finde ich in den Bergen, das hat ein bisschen was von Entdeckertum. Die Berge bieten mir Orte der Stille. Gerade in Südtirol gibt es noch viel Ursprünglichkeit mit viel Biodiversität. Wenn du dort oben bist, wirkt auf den ersten Blick alles ganz karg, aber wenn du genauer hinsiehst, ist dort ein Blütenmeer, ganz zart, unglaublich. Wenn ich eine solche Vielfalt an Pflanzen sehe, spüre ich immer: Das ist es, was der Mensch braucht, was ihn zur Ruhe kommen lässt, zu sich selbst. Leider finden wir das in unserer heutigen Welt immer seltener.
Sie haben ein sehr ungewöhnliches Hobby: Sie sind Jägerin. Wie passt das in Ihr Denken als Grüne?
Die Jagd ist für mich ein Anlass, ein Mittel, sinnvoll Zeit in der Natur zu verbringen, dem Ursprünglichen zu begegnen. Jagd ist Natur, ehrlich und pur, und die ursprünglichste Form der Landwirtschaft. Die Nähe zur Natur, die du als Jäger oder Jägerin hast, haben in dieser Intensität, in dieser Außergewöhnlichkeit, sonst nur wenige.
Eines Ihrer Ziele ist die „Naturmetropole Osnabrück Land“. Ist das nicht ein Widerspruch: Natur und Metropole?
Stimmt, das ist ein Gegensatz. Aber er ist sehr bewusst gesetzt. Der Mensch will ja beides: Er will die Nähe zur Natur, weil er spürt, dass sie ihm Wohlbefinden bereitet, Freiheits- und Glücksgefühle, etwa bei einem Spaziergang durch das sonnendurchschienene Grün des Waldes. Aber gleichzeitig will er nicht abgeschnitten sein von der Lebendigkeit der Stadt, den Kommunen. Was ich mit „Naturmetropole“ sagen will, ist, dass wir im Landkreis Osnabrück beides haben: Die Entspanntheit unglaublich schöner, sehr abwechslungsreicher Natur, was viele gar nicht wissen. Und, in unmittelbarer Nähe, auch urbane Quirligkeit, Vielseitigkeit. Eine unserer Aufgaben ist, das Ganze jetzt durch ein neues Mobilitätskonzept besser zu vernetzen.
Eine große Aufgabe. Wenn Sie sich eine Eigenschaft wünschen dürften, die Ihnen hilft, sie zu bewältigen: Welche wäre das?
Eine Superkraft? Dass ich alle Zusammenhänge der Welt verstehen könnte, auf einen Schlag. Wie ein Blick von oben, die kompletten Lösungen sind plötzlich glasklar.
Plus die Fähigkeit, auch alle übrigen zu überzeugen?
Das habe ich auch gerade überlegt. Es nützt ja nichts, wenn nur ich allein Bescheid weiß. Aber es gibt noch was, das dagegen spricht.
Was denn?
Dass ich dann total alleine stünde. Niemand würde sich wirklich mitgenommen fühlen, keiner würde begeistert mitmachen. Nein, wirklich große Dinge kann man nur gemeinsam erreichen.
Keine Superkraft?
Lieber nicht. Okay, wär 'schon cool. Aber wie das so ist mit Märchen: Alles hat auch seine Nachteile.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“