Mit Sternchen und Kopftuch: Grüne streiten über Feminismus

Auf dem Frauenkongress der Partei geht es um Intersektionalität und Religion. „Infantil“ und „entpolitisiert“, finden Aktivistinnen der zweiten Welle der Frauenbewegung. Sie fürchten um erkämpfte Rechte

„Grüne Politik muss solidarisch und antirassistisch sein“

Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin der Grünen

Von Patricia Hecht

Unter grünen und Grünen-nahen Feministinnen ist ein Generationenstreit entbrannt. Anlässlich des Bundesfrauenkongresses der Partei am Wochenende haben sich VertreterInnen der zweiten Welle der Frauenbewegung, darunter 20 Mitglieder aus grünen Kreisverbänden überwiegend aus Baden-Württemberg, gegen den intersektionalen Feminismus der jüngeren Generation gewandt. Ausgangspunkt des Streits ist ein offener Brief, den Kreisverbandsmitglieder an den Bundesvorstand der Grünen schrieben und den die Zeitschrift Emma am Donnerstag online stellte – einen Tag bevor der Feministische Zukunftskongress der Grünen-Frauen in Leipzig begann. Schon mit Blick auf die geladenen Gäste sei klar, heißt es in dem Brief, dass es auf dem Kongress „nicht mehr um Feminismus“ gehe. „Inklusive, kulturelle Konzepte“ von Feminismus „loben traditionelle und reli­giö­se Zwänge als weibliche Kultur und solidarisieren sich mit Unterdrückung“.

Die Speakerinnenliste des Kongresses liest sich wie das Who’s who der jüngeren feministischen Szene: Die Rapperin Sookee trat dort auf, die Bloggerinnen Anne Wizorek und Kübra Gümüşay waren eingeladen, ebenso die Missy-Herausgeberin Steffi Lohaus und die Autorin Mithu Sanyal. Workshops gab es etwa zu intersektionalem Feminismus sowie Feminismus und Religion. Der Frauenkongress, heißt es auf der Website, solle ein „Meilenstein auf dem Weg zum neuen grünen Grundsatzprogramm“ sein.

Langjährige Aktivistinnen der Frauenbewegung legten in ihrer Kritik am Freitag noch einmal nach: Halina Bendkowski – zwar nie Mitglied der Grünen, aber ehemals über deren Liste im Abgeordnetenhaus von Berlin – und Barbara Holland-Cunz, Gießener Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Frauenforschung. Die Grünen würden „feministisch entpolitisiert“, schreibt Bendkowski in einer Mail an die frauenpolitischen Sprecherinnen in Partei und Fraktion, den Bundesvorstand und Dutzende Frauen mit durchaus unterschiedlichen feministischen Positionen, darunter die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, die Soziologin Sabine Hark oder Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Bendkowski kritisiert die „dritte und vierte Welle der Frauenbewegung“ und deren „Sternchenfeminismus“ als „infantil“. Sie fragt, ob es feministisch sei, „andere Kulturen und Religionen“ von der Kritik der Frauenbewegung zu verschonen. Die Grünen, fordert Bendkowski, müssten sich darüber klar werden, welchem Verständnis von Feminismus sie sich verpflichtet wissen wollen.

Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Gesine Agena, ist dazu sehr klar: „In Zeiten des Erstarkens der AfD, in denen Rechte versuchen, Frauenrechte für sich zu vereinnahmen, muss grüne Politik intersektional, solidarisch und antirassistisch sein“, sagte Agena der taz. „Wir brauchen einen Feminismus, der unterschiedliche Diskriminierungen sieht und der auch solidarisch ist, wenn Frauen mit Kopftuch angegriffen werden. Unser Feminismus und unsere Frauenpolitik stehen für die Selbstbestimmung von Frauen in all ihren vielfältigen Lebensentwürfen.“

Das habe auch der Kongress gespiegelt, meint Agena, an dem mehr als 250 Frauen teilgenommen hätten. Dort seien unterschiedliche Generationen grüner Frauen zusammengetroffen, die Stimmung sei „kraftvoll und empowernd“ gewesen. Von den Unterzeichnerinnen des Briefes sei, soweit sie wisse, aber nur eine gekommen. Sie finde das schade, sagte Agena, schließlich sei der Kongress dazu da, über derlei Grundsatzfragen ins Gespräch zu kommen. Beschlüsse, so die frauenpolitische Sprecherin, würden auf dem Kongress qua Satzung nicht gefasst. Natürlich werde den UnterzeichnerInnen des Briefes noch geantwortet.

Auch die Leiterin des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung, Ines Kappert, sagte der taz, auf dem Kongress habe es gute Diskussionen, aber keinerlei Streit gegeben. Problematisch an der Kritik finde sie, dass von den Autorinnen bereits eine offene Debatte über Feminismus als Ausverkauf betrachtet werde. Die Haltung sei: „ ‚Wir definieren, was Feminismus ist – und niemand sonst.‘ Das grenzt an Denk- und Diskussionsverbote.“

Dass die Mails so wütend formuliert seien, liege womöglich daran, dass einige der Frauen „ihre Lebensleistung als Feministinnen“ infrage gestellt sähen. „Aber es geht nicht darum, die Leistung der vorangegangenen Generation zu leugnen“, sagte Kappert, „sondern darum, gemeinsam Feminismus weiterzuentwickeln.“