: Grüne am Rand der Verzweifelung
■ Wahldesaster wirft die Partei in die Gründungsphase zurück / Hoffen auf die Hochburg Bremen
“Ich muß noch ein Bier haben“. Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier, der mit Absicht für diesen Abend einen schwarzen Rollkragenpullover angezogen hatte, stand der Schreck ins Gesicht geschrieben, als im Presse- Club im Schnoor die ersten Prognosen über den Bildschirm geflimmert waren.
Und auch der zweite Politiker, der sich schon um 18 Uhr im zentralen Politiker- und Pressetreffpunkt eingefunden hatte, der Grüne Martin Thomas, fand kaum Worte für seine Enttäuschung: „Grausam, echt grausam.“
Besonders schockiert waren beide, daß neben dem erwarteten Desaster bei den Bundestagswahlen auch das rot-grüne Bündnis in Berlin auf den Bauch gefallen war. Wedemeier: „Vierzehn Tage vor der Wahl läßt man nicht ungestraft eine Koalition platzen. Das war eine völlig falsche Strategie.“ Strahlende Gesichter gab es im Presseclub erstmals um halb sieben, als der FDP-Fraktionsvorsitzende Claus Jäger den Raum betrat. „Eine Zehn hätte ich wohl gedacht, aber das...“
Das alles beherrschende Thema zu diesem Zeitpunkt: Haben es die Grünen im Westteil Deutschlands geschaftt, in den Bundestag zu kommen, oder ziehen lediglich die Kollegen aus dem Osten ins Parlament ein? Zumindest die BesucherInnen der grünen Wahlfete im alten Swutsch-Studio auf den Höfen wollten es gar nicht mehr wissen. Noch bevor er sich überhaupt gefüllt hatte, war der Saal um halb acht schon wieder gähnend leer. „Die Geschichte rächt sich brutal“, meinte ein grüner Aktivist vor dem Gehen. Selbst FDP- Mann Jäger bemerkte zu den katastrophalen grünen Zahlen vom Bildschirm: „Wenn die rausfliegen, das finde ich nicht gut.“
Bürgermeister Wedemeier dagegen sog aus dem miserablen Abschneiden der Grünen Honig für die SPD. „Man muß sich künftig überlegen, ob man die Grünen überhaupt noch wählen kann. Es wäre empfehlenswert, wenn deren WählerInnen künftig wieder zur SPD zurückfinden. Martin Thomas stellte nur resigniert fest: „Zum Zittern war ich eigentlich nicht hergekommen.“
Obwohl die Bremer Ergebnisse gegen 19.00 Uhr noch nicht absehbar waren, gab es Anzeichen dafür, daß die Wahlbeteiligung diesmal weit unter der der letzten Bundestagswahl geblieben ist. Unabhängig von den genauen Ergebnissen war eines schon klar. Der Grüne Kandidat Ralf Fücks wird den Einzug in den Bundestag nicht schaffen. Dagegen sind die Mandate für die SPD- KandidatInnen Koschnik, Waltemathe und Janz sicher. Auch Neumann für die CDU und Richter für die FDP sind sicher.
Ralf Fücks sprach von einem „politischen Alptraum“. Die Grünen müßten nun eine neue Gründungsphase durchlaufen. Sein kleiner Hoffnungsschimmer mit Blick auf die nächste Bürgerschaftswahl: „Es gilt weiter, die grüne Hochburg Bremen zu verteidigen.“ hbk
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