Die Schau „Blickdichterinnen“ auf Schloss Agathenburg präsentiert sechs junge Künstlerinnen : Grüne Pilz-Wolke mit Ausblick
Im repräsentativen Herrschaftssaal von Schloss Agathenburg stülpt sich aus einer neuen Tür ein Volumen wie ein zweiter Kamin. Doch nicht Brennholz lagert dort, sondern Brennnesseln sind zart auf die weiße Fläche gezeichnet. Daneben ein langes Regal aus nicht eben adeligem Holzimitat und darauf zwei an die Wand gemalte Wassergläser. Komm mit nennt Tine Bay Lührssen diese Installation, die zu einer surrealen Passage in Umgebung und Geschichte des Schlosses einlädt.
Die aktuelle Ausstellung sechs junger Künstlerinnen, die fast alle an der Hochschule für bildende Künste Hamburg studiert haben, versteht sich in weitestem Sinne als eine Standortbestimmung an einem geschichtsträchtigen Ort mit weitem Blick am Rande von Geest und Marsch, im Park zwischen Straße und Bahn, unter der Einflugschneise nach Hamburg und nahe dem Atomkraftwerk Stade. Letzteres gibt der grünen Wandmalerei, einer feingliedrigen Pilzwolke von Yvonne Lange einen besonderen Beigeschmack. Noch deutlicher wird hier eine allerdings schon ältere Arbeit: 30 Objekte aus wattegefüllten Nylonstrümpfen, die an einem alten Regal mit Bild-Markierungen für das Vor-Lese-Alter hängen. Es sind Atemmasken zum Schutz gegen atomaren Staub, die die in Sachsen-Anhalt geborene Künstlerin genau nach einer offiziellen Anleitung von 1976 für die BürgerInnen der damaligen DDR gebaut hat.
Auf den schönen Ausblick über die Marsch nimmtdie Arbeit Oberes Feld von Maria Schmidt Bezug. Die Künstlerin, die ihre Beschäftigung mit der Abbildbarkeit von Landschaft auch schon zu partiell ausgeschnittenen Landkarten führte, hat gerade bei F. E. Walther ihr Diplom gemacht. Hier hat sie Elemente geographischer Darstellung raumfüllend ins Dreidimensionale gebracht; das jedoch nicht illustrativ, sondern als eine eigenständige skulpturale Gestalt: Auf hölzerner Stützkonstruktion liegendes Kunststofflaminat auf blauem Hartschaum und die vielgestaltige Form aus gelb lackierter Pappe lassen sich als sanfte Landschaftswellen mit begrenzender, leuchtend blühender Baum- oder Pflanzengruppe deuten, vielleicht aber auch als Meer vor einem Kliff ...
Fluten ganz anderer Art zeigt Karin Missy Paule Haenlein, Hamburg-Stipendiatin von 2002: Endlose Massen von Papier hat sie ausgebreitet. In ihren Zeichnungen drohen Berge von einzelnen Blättern Personen zu verschütten, und in einer Maschinenkonstruktion bauen sich ganz real die Papierbahnen von einer sauberen Rolle zu einem locker gefallenem voluminösen Berg auf. Diese Kunst von der Rolle ist ein Teilaspekt der Aktionen, bei denen sie früher, verborgen in einer mobilen Zeichenkabine, aus einem Schlitz spontane Endloszeichnungen hervorquellen ließ. Nun scheint selbst das blanko belassenene Papier auf das tägliche Überangebot von Informationen zu verweisen.
Anna Koslowskis digital bearbeitete Fotos leerer Unorte, die Rauminstallation Komm nach Hause (Foto) von Stef Heidhues mit Kinderbett und Himmels-TV und Zeichnungen aller Beteiligten runden die anregende Ausstellung ab, die es trotz mancher Ein- und Ausblicke dennoch schwer hat, der Poesie ihres anspruchsvollen Titelbegriffs Blickdichterinnen gerecht zu werden. HAJO SCHIFF
Blickdichterinnen: Tine Bay Lührssen, Stef Heidhues, Anna Koslowski, Yvonne Lange, Karin Missy Paule Haenlein, Maria Schmidt. Schloss Agathenburg, Hauptstraße, Agathenburg bei Stade; Di–Sa 14–18, So 10–18 Uhr, bis 17. 8.