Grüne Parteitagsbeschlüsse: Gerade noch mal abgeräumt
Auf dem Grünen-Parteitag ging es nicht nur um Personal, sondern auch um inhaltliche Bestimmungen. Ein Überblick über die wichtigsten Beschlüsse.
Doch dann fackelte Christian Lindner die Ampel ab – und der Parteitag liegt plötzlich am Beginn eines sehr kurzen Wahlkampfs für eine vorgezogene Bundestagswahl. Kontroversen? Sind auf dem Parteitag nicht mehr so angesagt. Die meisten wurden schon im Vorfeld abgeräumt.
Die Verhandlungen über die Details zogen sich hinter den Kulissen zwar noch lange hin. In den meisten Punkten kam es gerade rechtzeitig aber doch noch zu Kompromissen. Zu gering war unter den Delegierten das Interesse an Redeschlachten und Kampfabstimmungen drei Monate vor der Wahl.
Einer der ursprünglich großen Streitpunkte: die Asyl- und Migrationspolitik. „Zurück zur Vernunft“ heißt der Antrag, den unter anderem der linke Europaabgeordnete Erik Marquardt eingereicht hatte. Eingegangen waren dazu 175 Änderungsanträge. Auf der Parteitagsbühne erinnert sich Marquardt daran, wie er gedacht habe: „Oh Gott, die liegen ja komplett durcheinander!“ Am Ende sei es aber gelungen, in einer geeinten Fassung die „Breite der Partei“ widerzuspiegeln. Das hat allerdings auch einen Preis: Viel Klarheit über den künftigen Kurs der Grünen verschafft der Beschluss nicht.
Eine der strittigen Fragen war etwa, wie sie zu Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan stehen. „Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es dazu im Text. Kurz darauf kommt eine Einschränkung: „Doch besonders bei Menschen, die schwere Straftaten begangen haben oder Gefährder sind, muss der Rechtsstaat durchgreifen.“ Also gehen die Abschiebungen in Ordnung? Nein, sagen Parteilinke: An ganz anderer Stelle im Text werden Afghanistan und Syrien als Krisengebiet definiert – und zu Krisengebieten sei die Aussage doch klar.
Stellenweise geht es im Text auch in anderen Punkten durcheinander. Dass darin etliche Positionen vereint werden sollten und die Verhandlungen am Samstag bis kurz vor Schluss gingen, merkt man dem Ergebnis an.
Etwas früher endeten die Verhandlungen zu einem Antrag, der in Teilen umstritten war. Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen und weitere Grüne forderten darin mehr Maßnahmen für soziale Gerechtigkeit.
Unter anderem: eine Vermögenssteuer von mindestens 1 Prozent auf Vermögen über 2 Millionen Euro. Vor allem unter Realos gab es dagegen Vorbehalte – nicht zuletzt aus der Sorge heraus, mit der Forderung im Wahlkampf nicht mehrheitsfähig zu sein. Geeinigt haben sich beide Seite am Ende darauf, dass das V-Wort im Parteitagsbeschluss zwar vorkommt. Die Formulierung ist jetzt aber weniger konkret. Gelten soll die Steuer nur noch „auf sehr hohe Vermögen oberhalb eines Freibetrags von mehreren Millionen Euro“. Und vor allem: Als steuerpolitische Priorität werden ausdrücklich andere Maßnahmen genannt, unter anderem, Lücken bei der Erbschafts- und Immobiliensteuer zu schließen.
Im gleichen Antrag hatten Andresen und Co ursprünglich einen Mindestlohn von 16 Euro gefordert. Damit hätten sich die Grünen sogar vor die SPD gesetzt. In der Einigung stehen jetzt 15 Euro für 2025 – und danach ein schrittweiser Anstieg gekoppelt an die generelle Lohnentwicklung im Land. Die Grüne Jugend wollte durchsetzen, dass dieser Mindestlohn auch für Azubis gilt. Für diese soll es nun aber nur eine „Mindestausbildungsvergütung“ geben. Deren Höhe? Unklar. Sie soll aber ein „eigenständiges Leben ermöglichen“.
In einem weiteren Antrag bekräftigen die Grünen ihre Forderung nach einem Klimageld. Die Auszahlung soll sozial gestaffelt erfolgen. Was das heißt? Die Grüne Jugend klang in einem Änderungsantrag kämpferisch: „Mit dem Klimageld sorgen wir dafür, dass die Reichsten am meisten für die Transformation bezahlen“, hieß es darin. Ein anderer Antrag forderte, das Klimageld nicht an die 30 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen auszuzahlen.
Stattdessen heißt es im Ergebnis nüchterner, das Klimageld solle „etwa durch eine spezifische Besteuerung oder eine Kappung ab einer bestimmten Einkommenshöhe“ gestaffelt werden. Einer der wenigen Abstimmungen des Abends gab es zur Frage, ob das Klimageld schon 2025 kommen soll. Die Jahreszahl schaffte es am Ende aber nicht in den Beschluss.
Ebenfalls abgestimmt wurde über die Schuldenbremse. Deren komplette Abschaffung forderte unter anderem der Berliner Fraktionsvorsitzende Werner Graf. Dagegen wandte sich in der Debatte der neue Parteivorsitzende Felix Banaszak. Mit Erfolg: Die Mehrheit stimmte dafür, die Schuldenbremse lediglich zu reformieren.
Unumstritten war zudem die Entscheidung zum Paragrafen 218. Die Grünen sprechen sich jetzt für eine Liberalisierung aus. Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen sollen demnach generell erlaubt werden. Diese Fristenregelung soll demnach außerhalb des Strafrechts festgeschrieben werden. Statt einer Beratungspflicht vor einem Abbruch soll es ein Recht auf eine kostenfreie Beratung geben. Es gehe um eine Frage von Selbstbestimmung und Gesundheitsversorgung, sagte Ex-Parteichefin Ricarda Lang, die den Antrag einbrachte. „Gerade wir Frauen sollten um dieses Recht nicht betteln müssen.“
Mit großer Mehrheit stellte sich der Parteitag auch hinter die parteiübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten „als ersten Schritt zu einem AfD-Verbot“. Das Grundgesetz biete die Mittel, die Grundrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, heißt es in dem Beschluss. „Es ist die Verantwortung aller demokratischen Parteien, des Bundestages, des Bundesrates und der Länder sowie der Bundesregierung, diese Mittel im Kampf gegen Verfassungsfeinde auch zu nutzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“