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Grüne: Fraktion säuberlich in Einzelteile zerlegt

■ Vorstands-Neuwahl begann mit guten Vorsätzen und endete im Eklat / Mutmaßungen über Motive: „80 Prozent persönliche Verbitterung“

Als die Bremer Abgeordneten der Grünen sich am Montag nach dreistündiger Fraktionssitzung vorläufig zum Mittagessen verabschiedeten, war die Stimmung noch bestens, die Abgeordneten selbst voller guter Vorsätze: Einmütig hatte man beschlossen, in Zukunft alles besser zu machen. Die Devise lautete: Weniger ressort-schrebergärtnernde Alleingänge von Einzelkämpfern, mehr Kooperation, weniger bienenfleißige Verzettelei bei Bürgerschäftsanträgen zu Änderungsanträgen von Änderungsanträgen, mehr öffentliche Präsenz und Profil bei Themen, die Stadtgespräch sind oder dazu gemacht werden sollen.

Und auch die KandidatInnen, die als neuer Fraktionsvorstand die guten Vorsätze in die Tat umsetzen sollten, schienen gefunden: Nach einigem Zögern hatte sich Helga Trüpel breitschlagen lassen. Und auch Thomas, der sich vormittags noch „Pressegeilheit“ hatte vorwerfen lassen müssen, hatte nach einigem Drängen anerboten, aus der Not eine Tugend zu machen und seine Pressekontakte künftig in den Dienst der Gesamtfraktion zu stellen.

Drei Stunden später, nach Mittagstisch und Vorstandswahl, war der Eklat perfekt. Von den zehn Abgeordneten hatten überhaupt nur acht gültige Stimmen abgegeben. Eine(r) hatte irrtmlich Elisabeth Hackstein gewählt, die gar nicht kandidiert hatte, eine(r) statt drei erlaubter Kreuzchen gleich vier gemacht. Ge

wählt waren: Helga Trüpel (8), Hajo Sygusch (6). Über den dritten Kandidaten mußte eine Stichwahl zwischen Paul Tiefenbach (4) und Martin Thomas (4) entscheiden. Als auch ihr Ergebnis mit 6:4 für Tiefenbach heraus war, verstand erst Martin Thomas die Fraktionswelt nicht mehr, dann verschlugs auch den übrigen die Sprache: Helga Trüpel mochte unter diesen Aussichten das gerade erworbene Amt erst gar nicht antreten und traf damit Paul Tiefenbach tief. Tiefenbach zur taz: „Ich weiß überhaupt

nicht, was Helga gegen mich hat, daß sie nicht mit mir zusammenarbeiten will.“

Trüpel ihrerseits will ihren Rückzieher allerdings weniger als persönlichen Affront gegen Tiefenbach verstanden wissen, sondern als Konsequenz aus ihrer Entäusschung über die Mehrheit der gesamten Fraktion: „Wie man Thommy erst gedrängt und dann knallhart durchfallen lassen hat, hat mir den Rest gegeben. Sowas an Hinterfotzigkeit und Verlogenheit habe ich noch nicht erlebt.“ Ihre Prognose für den neuen Vorstand, in dem statt ihrer jetzt Elisabeth Hackstein für mehr Außenwirksamkeit und Profil sorgen soll: „Es wird die gleichen Ressortegoismen geben wie bislang, Statt Streitkultur werden wir weiter nach der Devise leben 'Redst Du mir nicht rein, red ich Dir nicht rein‘.“ Trüpel selbst will sich nach diesem Ergebnis allerdings nicht mehr an die bisherige Strategie der Diskussionsverhinderung durch Eigenbrödelei halten: „Ich werde mich mehr streiten.“

Angefaßt reagierte auch Martin Thomas: „Die Fraktion hat in der Sache erst ein neues Konzept beschlossen und und sich bei der personellen Umsetzung dann für ein politisches Leichtgewicht entschieden, das eh von niemand respektiert wird.“

Mit einer ganz anderen Interpretation des Wahlergebnisses wartet Sozialexperte Horst Frehe auf. Für ihn hat die Fraktions- mehrheit in weiser Vorausicht le

diglich den klammheimlich eingefädelten Durchmarsch der Realos Trüpel und Thomas verhindert: „Die haben eine Strategie gehabt und sind damit auf den Bauch gefallen. Kein Wunder, daß sie jetzt beleidigt sind.“ Allerdings räumt auch Frehe ein:

Allein mit strömungspolitischen Differenzen ist der Scherbenhaufen nicht zu erklären. Im bremisch-lokalen Fieselkram spielt es kaum eine Rolle, ob das Herz ansonsten eher fundamental oder real schlägt. Frehe: „Im Grunde geht es vor allem um persönliche

Verbitterungen.“ Das Rezept dagegen glaubt der alte und neue Vorständler Sygusch gefunden zu haben: „Da müssen die durch und lernen, mit Wahlniederlagen zu leben. Eine Fraktion ist schließlich kein Mädchenpensionat.“

K.S.

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