: Großrazzia gegen die Hafenstraße
Über 3.000 Polizeiangehörige riegelten die Häuser ab / Grund: zwei Haftbefehle gegen angebliche RAF-Mitglieder und elf Anordnungen auf Hausdurchsuchung wegen Bagatelldelikten / Zahlreiche Festnahmen ■ Aus Hamburg Kai von Appen
Die Bundesanwaltschaft hat ge-stern in den umkämpften Häusern an St. Paulis Hafenstraße eine Großrazzia durchführen lassen. Gegen zehn Uhr am Morgen fuhr ein martialisches Aufgebot von Bundesgrenzschutz, Bereitschaftspolizei und Mobilen Einsatzkommandos vor der Hamburger Häuserzeile auf. 3.000 BeamtInnen sperrten das Areal am Hafenrand hermetisch ab. Niemand wurde mehr durchgelassen, JournalistInnen und zunächst auch den HafenstraßenanwältInnen der Zutritt verwehrt. Mit gezogenen Pistolen drangen MEK-Leute in alle Wohnungen des Komplexes ein, obwohl nur für 12 Zimmer ein Durchsuchungsbeschluß des Bundesgerichtshofs vorlag.
Anschließend fuhren Busse voller StaatsschützerInnen (Staschus) und BeamtInnen der Bundesanwaltschaft (BAW) sowie des Bundeskriminalamtes vor. Alle angetroffenen BewohnerInnen erklärte der „Staschu“ für vorübergehend festgenommen. Sie mußten sich einer Personenkontrolle in eigens eingerichteten Kontrollstellen unterziehen. Denjenigen, die sich ausweisen konnten und gegen die nichts vorlag, wurde ein Passierschein in die Hand gedrückt, sie wurden aus dem Sperrgebiet verwiesen mit dem Hinweis, sie sollten sich „vielleicht mal wieder am Abend einfinden“. Die anderen wurden abtransportiert. Wie viele Personen in den Polizeistellen landeten, war bei Redaktionsschluß unklar, die Razzia dauerte noch an. Offiziell war nur von zwei Festnahmen und 12 Ingewahrsamnahmen die Rede, die BewohnerInnen sprachen jedoch von Dutzenden Verschollenen. Vor allem Leute aus den Häusern, die zur „unpolitschen Fraktion“ gezählt werden, verschwanden in den Verhörzimmern des Staschu.
Beim Durchstöbern der Häuserzeile ging die Polizei akribisch vor: Alle gefundenen Gegenstände wurden mit Punkten und Kontrollnummern versehen und auf einem Millimeterpapier eingetragen. Persönliche Aufzeichnungen, die nicht in den Durchsuchungsbeschlüssen aufgeführt waren, wurden durchstöbert und abfotografiert.
Begründet wurde die Razzia mit der Vollstreckung zweier Haftbefehle vom 4. April gegen Karl-Heinz Gerum und Corinna Kammermeier sowie mit elf angeordneten Hausdurchsuchungen wegen Bagatelldelikten wie Postwerterschleichung (illegale Frankiermaschinen). Gerum ist seit 1986 offiziell in der Hafenstraße gemeldet und soll mit Corinna Kammermeier befreundet sein. Den beiden wird von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen „Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung“ (Paragraph 129a) zu sein. Angeblich sollen die beiden mit den im Dezember 1989 bei Husum verhafteten Ute Hladki und Holger Deilke in Verbindung gestanden haben und eine Bauernkate bei Lasbek in Schleswig-Holstein gemietet und genutzt haben.
Daß die Gesuchten, die laut BAW seit Dezember 1989 untergetaucht sein sollen, gestern wohl kaum in der Hafenstraße anzufinden sein würden, war dem Staschu schon vor der Aktion klar. Durch gezielte Indiskretionen wurde nämlich bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Polizeiaktion die Razzia über Rundfunksender gemeldet. Zudem ist seit letztem Dezember bekannt - damals war bereits eine geplante Razzia aufgeflogen -, daß die BAW gern einen Zusammenhang zwischen der Lasbeker Bauernkate und der Hafenstraße konstruieren möchte. Vielmehr bestätigt der Einsatz Gerüchte aus Regierungskreisen, daß der Hamburger Senat das Zepter für seine anvisierte Räumung an Bundesanwalt Kurt Rebmann abgegeben hat. Diese Informationen besagen nämlich, daß die BAW durch die Kriminalisierung der HafenstraßenbewohnerInnen als RAF-Anhänger - ganz nach dem Muster der Düsseldorfer Kiefernstraße - vor der Hamburg-Wahl im März kommenden Jahres eine wenn auch illegale Räumung und Abriß nach dem Polizeigesetz durchsetzen soll.
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