■ Der Kosovo-Krieg und die Folgen (6): Europa steht mit dem Ende der Bombardierungen vor einer neuen Herausforderung: Großmacht EU?
Die Ergründung von Sinn und Unsinn des Kosovo-Krieges wird noch lange andauern. Doch schon jetzt steht fest, dass dieser Krieg zwar transatlantisch begonnen und geführt – aber europäisch beendet worden ist.
Die Nato hatte an Miloševic Forderungen gerichtet und für den Fall, dass er sie nicht erfüllen sollte, mit Krieg gedroht. Diese Strategie beruhte auf einer doppelten Überzeugung: Einerseits, dass militärische Machtausübung positive politische Wirkung habe, und andererseits, dass die Mitgliedsstaaten des westlichen Bündnisses militärische Macht aus eigenem Recht ausüben könnten. Demgemäß operierte die Nato unter eklatanter Verletzung des mit der Charta der Vereinten Nationen gesetzten Völkerrechts am UN-Sicherheitsrat vorbei. Sie schloss Russland aus dem Krisenmanagement aus. Und sie verzichtete auf jegliche Überlegungen über Alternativen zu ihrem Vorgehen.
Damit geriet das westliche Bündnis in drei Schritten in eine Sackgasse. Als ihre im Februar 1999 in dem Abkommen von Rambouillet zusammengefassten Forderungen von Präsident Slobodan Miloševic wiederum abgelehnt worden waren, musste die Nato den von ihr ein Jahr lang angedrohten und intern nicht unumstrittenen Krieg nun auch tatsächlich beginnen, wollte sie nicht zur internationalen Lachnummer werden. Anschließend erwies sich die Hoffnung, dass der Krieg Miloševic schnell an den Verhandlungstisch zwingen werde, als falsch. Und schließlich fanden sich für den nur aus der Luft geführten Krieg nicht mehr genügend militärische Ziele. Der Nato blieb – mangels Alternative – nur die Wahl, entweder die immer fragwürdiger werdenden Bombardierungen fortzusetzen oder mehr oder weniger elegant beizugeben.
Aus dieser Sackgasse wurde die Nato durch einen radikalen Strategiewechsel der europäischen Politik herausgeführt – durch Initiativen des bundesdeutschen Außenministers Joschka Fischer, Kanzlers Gerhard Schröder und letztlich durch den Einsatz von Marti Ahtisaari, dem Staatspräsidenten des neutralen EU-Staates Finnland. Russland wurde in das Krisenmanagement einbezogen und dieses wurde in den UNO-Sicherheitsrat zurückgeführt. Mit dem Vorschlag eines Stabilitätspakts wurde der Krisenregion eine europäische Perspektive eröffnet.
Nie zuvor war eine europäische Alternative zu amerikanischer Politik von vergleichbarer Bedeutung entwickelt und durchgesetzt worden. Der Kosovo-Krieg war nach den politischen und militärischen Vorgaben der Nato-Führungsmacht USA begonnen und geführt worden. Bei den Schritten zu seiner Beendigung war die Führungsmacht unübersehbar einer von mehreren Partnern.
Zeichnet sich eine neue Rolle der EU in der Weltpolitik ab? Kann ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, kurz GASP genannt, tatsächlich das werden, was dieser Begriff bisher nur suggeriert? Das EU-Gipfeltreffen, das Anfang Juni in Köln zeitgleich mit dem Ende des Kosovo-Krieges in Euphorie und Aufbruchstimmung stattfand, schien in diese Richtung zu weisen.
Zunächst wurde da die seit langem mühsam geführte Diskussion über den so genannten „Mr. GASP“ – Gesicht und Stimme der gemeinsamen EU-Politik – mit der Ernennung des militärpolitisch erfahrenen Nato-Generalsekretärs Solana zügig und fast mit einem Flair von Aufmüpfigkeit gegenüber dem doppelten Machtfaktor USA/Nato beendet. Vor allem aber forderten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in einer ausführlichen gemeinsamen Erklärung mit großer Entschlossenheit für die EU die „Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten“. Und sie drängten auf all das, was in den 30 Jahren gemeinsamer Außenpolitik und in den 10 Jahren zusätzlicher gemeinsamer Sicherheitspolitik nicht richtig vorangekommen war.
Die natürliche Grundlage aller gemeinsamen Sicherheitspolitik muss bekanntermaßen eine gemeinsame Verteidigungspolitik sein. Daher war es besonders bemerkenswert, dass in der Kölner Erklärung eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik mit einer Deutlichkeit gefordert wurde, wie man sie seit dem Scheitern des Projektes einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im Jahre 1954 nicht mehr gekannt hatte: „Wir beabsichtigen, der EU die notwendigen Mittel und Fähigkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihrer Verantwortung im Zusammenhang mit einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gerecht werden kann.“
Doch dann wurde dies alles freilich auch wieder in gewohnter Weise transatlantisch ausbalanciert. Der letzte Satz der Kölner Erklärung lautet: „Der unterschiedliche Status der Mitgliedstaaten in Bezug auf Garantien der kollektiven Verteidigung wird nicht berührt. Die Nato bleibt das Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder.“
Trotzdem: Die Herausforderung ist da und die Europäische Union muss sie annehmen. Gemeinsame Verteidigungspolitik ist das Grundelement echter und dauerhafter Gemeinsamkeit. Die Einigung Europas wird nicht transatlantisch, sie wird nur europäisch erreicht werden können. Und die Europäer sind – folgt man den Ergebnissen von Meinungsumfragen – mehrheitlich für eine verstärkte Europäisierung auch der Sicherheitspolitik.
Doch wird das Ziel aus mehr als einem Grund keine Europäische Union als eine Weltmacht sein können, die ähnlich wie die Weltmacht USA agieren könnte. Vielmehr würde die EU dem richtigen Weg folgen, wenn sie – wie im Kosovo-Krieg, so auch künftig – in der Sicherheitspolitik der Logik der Politik den Vorrang vor der Logik des Krieges erhalten würde. Konkret heißt das: wenn sie der intelligenten Kontrolle militärischer Macht und der vollen Nutzung politischer Möglichkeiten mehr Gewicht geben würde als einer simplen Ausübung militärischer Macht.
Es wäre gute europäische Weltpolitik, wenn die EU die bisher noch keineswegs ausgeschöpften Möglichkeiten des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen mehr als bisher stützen und nutzen würde. Wenn sie weltpolitisch insgesamt weniger als militärische Kriegsmacht, mehr als politische Friedenskraft agieren würde. Die Stabilitätskonferenz von Sarajevo war ein Schritt in diese Richtung.
Denn die Europäer wollen nicht, dass ihre Regierungen mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Kriege à la Kosovo künftig rein europäisch führen können. Sie wollen, dass sie fähig werden, solche Kriege zu verhindern. Die Stimme Deutschlands hat hier Gewicht. Für den Initiator der Kosovo-Befriedung, Außenminister Fischer, bleibt auch nach dem Kosovo-Krieg noch einiges zu tun. Hans Arnold
Der Kosovo-Krieg wurde transatlantisch geführt – aber europäisch beendetDie Einigung Europas wird nur von den Europäern erreicht werden können
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