: Großjerusalem bleibt vorerst kleiner
■ Um nicht zu stürzen, nimmt Israels Regierung Landenteignungen zurück
Jerusalem/Tel Aviv (dpa/AP/taz) – Die israelische Regierung wird vorerst auf die geplante Enteignung von über 50 Hektar Land für jüdische Siedlungen in Ostjerusalem verzichten. Außenminister Schimon Peres kündigte diesen Schritt gestern während einer erregten Debatte über einen Mißtrauensantrag im israelischen Parlament an. Zuvor hatte sich Peres mit dem Chef der palästinensischen Autonomiebehörden, Jassir Arafat, in Gaza getroffen und ihm das Ende weiterer Landenteignungen in Jerusalem versprochen.
Die israelische Regierungskoalition drohte gestern über die Landenteignungen zu stürzen. Ministerpräsident Jitzhak Rabin, der seit seinem Amtsantritt im Juli 1992 Dutzende von Mißtrauensabstimmungen überstand, hatte Stunden vor der Parlamentsdebatte erstmals keine Mehrheit gegen den Mißtrauensantrag arabischer Abgeordneter gesichert. Die rechtsgerichtete Opposition machte keinen Hehl daraus, daß sie die Chance zum Sturz der Regierung nutzen wolle, obwohl sie die Landnahme unterstütze.
Der israelische Rundfunk berichtete am Mittag, daß 61 oder 62 der 120 Abgeordneten für den Mißtrauensantrag jener sechs arabischen Abgeordneten stimmen wollten, die bislang die Regierung unterstützt hatten. Rabin hatte vergeblich versucht, die Demokratische Front und die Arabische Demokratische Partei dazu zu bewegen, ihren Antrag zurückzuziehen. Der Abgeordnete Abdel Wahab Darausche sagte vor der Debatte: „Wir haben die Regierung unterstützt, die aber mit den Landenteignungen den Friedensprozeß gestoppt hat. Wir können diese Politik nicht mehr unterstützen.“
Der Führer des oppositionellen Likud- Blocks, Benjamin Netanjahu, hatte erklärt, wenn sich die Chance zum Sturz der Regierung böte, müsse sie genutzt werden. Dabei war die Beschlagnahmung von über 50 Hektar Land ursprünglich eine Idee des dem Likud angehörenden Bürgermeisters von Jerusalem, Ehud Olmert. Die Lage wurde zusätzlich durch die Ankündigung dreier ultranationaler Abgeordneter verwirrt, dem Mißtrauensantrag nicht zuzustimmen. Die Mitglieder von Moledet weigerten sich grundsätzlich, mit arabischen Parteien zu stimmen. Indirektes Opfer der Regierungskrise wurde die in Israel weilende Delegation von Bündnis 90/Die Grünen. Wegen der Debatte sagte Rabin ein Treffen mit Joschka Fischer ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen