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Großer alter Pantomime

■ Ein einziger Abend mit Marcel Marceau, der bezaubert und den es wirklich noch gibt

Wie ein kleiner Junge sitze ich in der letzten Reihe, hoch oben im Theater am Goetheplatz, der Vorhang ist noch geschlossen und warte auf den großen Mann der kleinen Gesten, den einzigartigen Nachfolger Charlie Chaplins, Buster Keatons und Jean-Louis Barraults (der sein Lehrer war).

Marceau, der Spaziergänger, schreitet auf die Bühne, durch den Park, gemessenen Schrittes. Er grüßt nach links und rechts. Ein altes Paar sitzt auf einer Bank und tauscht Belanglosigkeiten aus, während Kinder Trettroller fahren und eisessend vorbeiziehen. Die Szene wird belebter, Zeit und Raum beginnen zu entschwinden.

Marceau sieht, was wir nicht sehen und zeigt, daß wir nie richtig hingeschaut haben: er ist die Situation in ihrer Gänze. Er ist David und Goliath, er ist Vogel und Käfig, Frau und Mann, Kind und Greis — alles in einem.

Wir dürfen endlich an unserem Leben teilhaben und ergötzen uns an dem, was wir zwischen den großen Ereignissen immer vergaßen zu sehen.

Marceau hat es nicht nötig zu übertreiben. Er zeigt spiegelbildhafte Wirklichkeit, und seitenverkehrt erkennen wir sie wieder. Marceau, der „Maskenmacher“, wechselt chamäleonhaft die Fröhlichkeit gegen die Trauer gegen den Pfau. Die Maske der Fröhlichkeit erfriert auf seinem Gesicht, und er müht sich vergebens, sie abzustreifen. Fürchterliche Sekunden vergehen, bis er sich von ihr befreit.

Marceau als Pygmalion meißelt, schafft sich seine Wirklichkeit, seine Traumfrau, tötet sie und wird selbst getötet. Ich leide, lache und sterbe mit ihm auf unserer Fahrt durch das Leben, das immer am Rande spielt.

Als der Vorhang fällt, der große alte Mann der Pantomime seine letzte Verbeugung macht, fühle ich mich sehr alleine gelassen in dieser lauten übervollen Welt, der er so meisterhaft ihre Essenz zu entreißen vermag. Voll andächtiger Bewunderung für diesen bescheidenen alterslosen Mann, verlasse ich das Theater und bedaure jeden, der dieser Sternstunde nicht beiwohnen konnte.

Tristan Vannkann

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