: Große Selbstzufriedenheit
CDU und SPD feiern sich als Sieger. Die größten Zuwächse gibt es allerdings anderswo: bei den Nichtwählern
AUS BERLIN STEFAN REINECKEUND LUKAS WALLRAFF
Rund acht Prozent haben die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg verloren. Sie sind unter dreißig Prozent gerutscht – die CDU triumphiert. Und viele wissen, worin das SPD-Debakel gründet. Die Partei ist nicht wegen der Landespolitik oder einem unschlagbar populären Ministerpräsidenten der CDU in Stuttgart untergegangen, sondern wegen der Bundespolitik. Wegen der großen Koalition, die den Sozialdemokraten ihre Glaubwürdigkeit raubt.
Das war bei der Landtagswahl 1968 so. In Bonn regierte seit zwei Jahren die große Koalition, und die SPD taumelte bei den Landtagswahlen von Niederlage zu Niederlage. Auch gestern hat die SPD in Stuttgart wieder mehr als acht Prozent verloren – aber ansonsten ist alles anders. Keine zerknirschten Gesichter, kein grollender Fraktionschef in der Bundeshauptstadt, der die auseinander driftende Partei zur Räson bringen muss. Im Gegenteil. Die SPD scheint, abgesehen von der SPD-Spitzenkandidatin in Stuttgart, Ute Vogt, mit den Resultaten leben zu können. Es hätte ja viel schlimmer werden können. Doch nun wird Kurt Beck (SPD) weiter in Rheinland-Pfalz regieren – vielleicht, das war gestern Abend noch fraglich, sogar ohne Koalitionspartner. Alle Sorgen, dass die Enttäuschung der SPD-Basis über die Rente mit 67 Beck schaden würde, waren überflüssig. In Sachsen-Anhalt wird Jens Bullerjahn wohl als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU die FDP beerben. Kein Wunder, dass die SPD-Spitze das Ergebnis feierte, als hätte der Sozialismus gesiegt.
Gute Stimmung herrscht auch bei der Union. In Baden-Württemberg hat die CDU routiniert gewonnen, in Sachsen-Anhalt ist sie, trotz katastrophaler Wirtschaftsdaten, noch immer die stärkste Partei. Dass der unglückliche Christoph Böhr in Mainz, der gestern prompt zurücktrat, gegen Kurt Beck keinen Blumentopf gewinnen konnte, schrumpft da zu einer regionalen Merkwürdigkeit, die das glänzende Gesamtbild kaum trübt. Der CDU-Fraktionschef in Berlin, Volker Kauder, sprach, um Superlative nicht verlegen, von einer „ausgezeichneten Serie“ bei den Wahlen und wusste, wem dieses Ergebnis nutzt: Angela Merkel.
Kurzum: Für SPD und Union ist dieses Ergebnis eine Carte blanche für die große Koalition in Berlin. Wenn die FDP auch in Rheinland-Pfalz nicht mehr regiert, verfügt die große Koalition im Bundesrat sogar über eine Zweidrittelmehrheit. Die Wahlen scheinen zu beweisen, dass die politische Mechanik nicht mehr wirkt, die große Koalitionen sonst unfreiwillig in Gang gesetzt haben – nämlich die Stärkung der politischen Ränder.
Der Union bricht offenbar auch in der großen Koalition rechts nichts weg. Und die linkssozialdemokratische WASG konnte in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht ausreichend von der Knebelung der SPD in Berlin profitieren. SPD-Chef Matthias Platzeck hält das Projekt Westerweiterung der PDS schon für „krachend gescheitert“. Tatsache ist: In Rheinland-Pfalz haben knapp 80 Prozent SPD oder CDU gewählt, in Baden-Württemberg etwa 70. Die Mitte ist stabil – diese Botschaft sorgte in den Parteizentralen von CDU und SPD gestern für prima Stimmung.
Doch eindeutige politische Botschaften für den Bund aus diesen Ergebnissen zu lesen, ist nicht ganz einfach. Beim derzeit umstrittenen Thema Einbürgerung war Günther Oettinger in Stuttgart für die Fragebogen für Migranten, Kurt Beck hingegen äußerte sich klar dagegen. Gewonnen haben beide.
Die Wahlbeteiligung war wohl auch so niedrig, weil die große Koalition in Berlin wie ein Beta-Blocker auf die Wahlkämpfe wirkte. Und noch ein Merksatz scheint seine Gültigkeit verloren zu haben – nämlich dass eine niedrige Wahlbeteiligung automatisch den kleinen Parteien nützt und den Volksparteien schadet. Die Ergebnisse von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dementieren dies. Die Union in Stuttgart und die SPD in Mainz liegen unzweideutig vorne. Wer hier laut Wählerwillen regieren soll, ist klar. Und die Bewegungen an den Rändern sind marginal.
So gab es gestern Abend bei CDU und SPD fast nur Sieger. Doch in den Parteizentralen musste man dafür geflissentliche eine Zahl übersehen, die in Prozenten und Landtagsmandaten nicht auftaucht. Nämlich die Zahl der abgegebenen Stimmen. Nicht mal jeder siebte Wähler in Baden-Württemberg votierte gestern für die SPD. SPD-Chef Platzeck jubelte unverdrossen: „Wir sind die linke Volkspartei.“ Ob die SPD in Berlin derzeit linke Politik macht, darüber kann man noch streiten. Aber von der SPD in Magdeburg und Stuttgart als Volkspartei zu reden, ist richtig mutig.