: Große Mauer vereinsamt
Tourismus in China liegt nach dem Boomjahr 1988 am Boden ■ Aus dem LEEREN HOTELZIMMER:
Er boomt nicht mehr - der deutsche Tourismus nach China. Bundesdeutsche Touristen meiden zur Zeit das „Reich der Mitte“. Noch 1988 kamen von den rund vier Millionen auswärtigen Reisenden in der Volksrepublik etwa 700.000 aus der Bundesrepublik. Seit den Schlächtereien auf dem Tiananmen (dem Platz des Himmlischen Friedens) in Peking erlebt die chinesische „Tourismus-Industrie“ (wie chinesische Offizielle das gerne nennen) darüber hinaus insgesamt starke Einbußen. Die Touristen haben Angst und bleiben aus.
Große Mauer, „Terrakotta„-Armee in Xian und „Kaiserpalast“ bei Peking haben ihren Reiz verloren. Sie sind - wie auch andere Sehenswürdigkeiten im Lande - vereinsamt. Die chinesischen Nobel-Herbergen wie das „Hotel Peking“ stehen seit Wochen leer, die internationalen Prachtschuppen (wie Sheraton „Große Mauer“, „Lido“ Holiday Inn oder das Shangri La) - in China „Westhotels“ genannt - sind weit unter 50 Prozent belegt. Gähnende Leere auch in den immer zahlreicher werdenden Ausländer-Restaurants mit diversen ausländischen und chinesischen Küchen.
Der Boykott hat hochoffizielle Fürsprecher. Das Außenministerium in Bonn rät weiterhin strikt von Touristen -Reisen nach China ab. Der Grund: Risiken für die persönliche Sicherheit seien nicht auszuschließen. Schließlich bestehe in Peking (und Lhasa, der Hauptstadt Tibets) der Kriegszustand immer noch weiter fort. Auch wenn sich die Verkehrsverhältnisse im Lande nach der blutigen Niederschlagung der Studentenunruhen inzwischen wieder weitgehend normalisiert hätten. Die meisten touristischen Sehenswürdigkeiten seien dabei allerdings wieder zugänglich.
Den Zweifeln an der nötigen Sicherheit schließt sich auch die Verbraucher-Zentrale Nordrhein-Westfalen an: Die andauernden inneren Unruhen in China stellen einen Fall „höherer Gewalt“ dar. Reisen nach China könnten persönliche Gefährdungen mit sich bringen. Wer daher eine Reise nach China gebucht hat, kann demzufolge nach Ansicht dieser Verbraucher-Zentrale seinen Reise-Vertrag kündigen. Er müsse dabei weder den Reisepreis bezahlen noch etwaige Storno -Gebühren. Diese Möglichkeit bestehe so lange, wie eben von Bonner Seite von solchen China-Trips abgeraten wird.
Viele attraktive Reiseziele in China wirken wie „Geisterstädte“. Man bietet sie deshalb auch in Deutschland kaum noch an. Reisebüros melden denn auch seit Wochen null Neubuchungen. Genaue Verlustzahlen liegen allerdings noch nicht vor. Vereinzelt nur findet man noch Hinweise auf China -Reiseführer oder -Bücher.
Die Zahl der ausländischen Touristen im Lande ist im Juli um 80 Prozent zurückgegangen. Die staatlichen Ansichtskarten -, Andenken- und sonstigen Kiosk-Verkäufer haben zur Zeit keinen einzigen der begehrten hochglänzenden FEC-Geldscheine („Foreign Exchange Certificate“ - Yuan, Chinas Ausländerwährung) in der Kasse. Die Chinesen selbst schätzen die Verluste auf circa 250 Millionen Yuan (etwa 120 Millionen Mark).
Die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft China Reiseveranstalter“ macht zwar in einem jetzt veröffentlichten Erfahrungsbericht auf Optimismus nach der Devise: alles wie immer, muß aber erkennen: „Bloß Soldaten überall!“ Derweil wurden die chinesischen Tourismus-Manager aktiv. Eilens haben sie ein landesweites Tourismus-Symposion in die Hauptstadt einberufen. Auch durch bloße Beteuerungen und leere Versprechungen - wie dort geschehen - ist der letztjährige Tourismus-Boom Chinas auf Jahre nicht mehr zu wiederholen.
Georg Wadehn
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