piwik no script img

Große Koalition oder große Opposition?

Nach ihrem Debakel bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus überlegt die SPD, wie's weitergehen soll: Die Basis will den Ausstieg; die Parteiführung die Koalition mit der CDU  ■ Aus Berlin Christoph Seils

Den ganzen Wahlkampf über haben sich die Berliner Sozialdemokraten von der CDU als Läuse beschimpfen lassen müssen, als Steigbügelhalter des Kommunismus. Doch nach dem Debakel bei den Abgeordnetenhauswahlen will sich die SPD-Basis in Berlin nun nicht länger treten lassen. In ihr häufen sich Stimmen, die fordern, die SPD solle aus der Großen Koalition in Berlin aussteigen und aus der großen Opposition heraus einen CDU-Minderheitssenat tolerieren. Der Hohn in der Hauptstadt über die mageren 23,6 Prozent, hat die einst stolzen Berliner Sozialdemokraten tief getroffen. Im Osten wie im Westen, auf dem linken wie auf dem rechten Parteiflügel ist die Sorge groß, in einer Koalition mit den Christdemokraten gehe es mit den Sozialdemokraten in der Hauptstadt weiter in den Keller.

„Bei uns in Berlin-Mitte haben die Leute das Gefühl, sie seien nur noch dazu da, anderen ihre Posten zu sichern“, berichtet Dankwart Brinksmeier, Gründungsmitglied der Ost-SPD und Kreisvorsitzender in Berlin-Mitte. Insgesamt sei der Kreisverband bei der Frage „regieren oder tolerieren“ gespalten. Brinksmeier selbst rät seiner Partei „dringendst“, aus der großen Koalition auszusteigen. Schon jetzt sei es für die Partei schwer, sich zu erneuern. Nach weiteren vier Jahren in der Großen Koalition „schrumpfen wir auf das politische Niveau der FDP“. Ins selbe Horn bläst der ehemalige SPD-Innensenator Kurt Pätzold: „Wenn die SPD den jetzigen Weg weitergeht, droht unweigerlich ein noch tieferer Absturz.“

Einige mitgliederstarke Kreisvorstände im Westen der Stadt haben bereits mit großer Mehrheit Resolutionen zum Ausstieg gefaßt. Und der Berliner Juso-Vorsitzende Matthias Linnekugel forderte die sozialdemokratischen Senatoren sogar auf, ihre Ämter mit sofortiger Wirkung niederzulegen. Seiner Meinung nach hat sich „die SPD kaputt regiert“.

An der Parteispitze setzt man darauf, Zeit zu gewinnen, damit sich die Aufregung an der Basis wieder legt und eine Zerreißprobe in der Partei verhindert werden kann. In Ruhe will die gescheiterte Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer die Perspektiven ihrer Partei abstecken. Dazu trifft sich am kommenden Wochenende zunächst der Landesvorstand zu einer Klausurtagung, bevor am 7. November ein SPD-Sonderparteitag über die Frage der Koalitionsbeteiligung befinden wird. Bisher zeigt sich Stahmer unschlüssig und liebäugelt auch mit dem Amt der Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus. Letztendlich wird es jedoch darauf hinauslaufen, daß die Große Koalition in Berlin fortgesetzt wird. „Wir werden an einer Großen Koalition nicht vorbeikommen“, glaubt der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Jugendsenator, Thomas Krüger. Und auch Berlins Bausenator Wolfgang Nagel hält von der Duldung einer CDU-Minderheitsregierung wenig, denn dies hieße: „Mitregieren, ohne daß man etwas zu sagen hat.“ Führende Sozialdemokraten plädieren allerdings dafür, der CDU eindeutige Bedingungen für die Neuauflage einer Großen Koalition zu stellen. Denn: „Es ist alles eine Frage des Preises.“ Im Roten Rathaus, dem Sitz Eberhard Diepgens, wird bereits gemunkelt, daß der Preis fünf Senatorenposten beträgt. Damit bekäme die SPD genauso viele Senatoren wie die CDU, obwohl die Sozialdemokraten mehr als 15 Prozent weniger als die Union bekamen.

Vielleicht wird auch eine SPD- Mitgliederbefragung über die Zukunft der Großen Koalition befinden. Für den Bundestagsabgeordneten Stefan Hilsberg wäre dies der geeignetste Weg, sich als Partei ohne Blick auf die Konkurrenz wieder zu profilieren und zu einer starken Volkspartei werden.

Längst sind in Berlin auch baldige Neuwahlen im Gespräch, falls eine stabile Landesregierung nicht zustande kommt. Angesichts dieser Aussicht und der Gefahr, in der desolaten Situation noch weiter einzubrechen, werden die Sozialdemokraten wohl nach einer angemessenen Schamfrist beim Regierenden Bürgermeister Diepgen zu Koalitionsverhandlungen antreten. „Mit Schaum vor dem Mund“, wie es angesichts des CDU- Schmuddelwahlkampfes in der SPD heißt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen