piwik no script img

Größer als ich selbst

■ Gespräch mit Alexander Rockwell, dessen Film „Sons“ heute in die Kinos kommt

Gunter Göckenjan

Gunter Göckenjan: Du bist ein independent filmmaker, was ist das eigentlich?

Alexander Rockwell: Ich weiß es auch nicht so genau, aber die Definition sagt, daß alle Filmer, die ihr Geld nicht aus Hollywood bekommen, independent heißen. Da gibt es dann die, die das Geld wollen, aber noch nicht das Glück hatten oder den Erfolg. Die zweite Gruppe sind Leute, die sich für Themen interessieren, auf die die Geldleute in Hollywood nicht anspringen. Ich denke, daß ich zu der zweiten Gruppe gehöre. Ich bin unabhängig aufgrund der Wahl meiner Gegenstände. Und wenn jemand aus Hollywood mir das Geld geben würde, damit ich den Film, den ich machen will, auch machen kann, hätte ich kein Problem, es zu nehmen.

Gibt es eine stilistische Definition von „independent“?

Ja, aber die geht aus vom Geld. Hollywood wird von Rechtsanwälten und Grundstücksmaklern betrieben, und die wissen, wie man etwas verkauft. Was sie wollen, ist ein Produkt, dessen Vermarktung sie betreiben können. Kunst funktioniert anders als ein Auto, man kann nicht seinen Finger auf die Einzelteile legen und sagen, das ist schlecht, das ist gut. Ein Industrieprodukt wird nach dem Fehlen von Defekten beurteilt, während das Kunstwerk nach seinen Qualitäten beurteilt wird. Die Leute in Hollywood bewerten Film wie ein Auto, du nimmst Jack Nicholson als funktionstüchtige Bremse und einen Regisseur wie Spielberg als prima Federung. Das läuft wie ein Blitzkrieg, man investiert alle technischen Errungenschaften in so ein 50 -Millionen-Dollar-Ereignis.

Aber zum Filmemachen mußt du ja auch Geld auftreiben.

Das stimmt, und ich will niemandes Geld verschwenden. Darüber streite ich oft mit meinen europäischen Filmemacherfreunden. Die sagen, sie machen Filme für eine kleine Gruppe von Freunden. Filme, die ein persönliches Statement sein sollen. Ich finde es ziemlich selbstgerecht, eine Million Dollar für eine private Äußerung zu verwenden. Wenn ich als Künstler eine Million Dollar verbrauche, mit denen man Leben retten oder sonstwie vielen Menschen helfen könnte, beinhaltet das für mich die Verantwortung, es nicht zu verschwenden. Ich möchte auch, daß Leute, die einen Job von neun bis fünf machen, etwas mit meinen Filmen anfangen können.

Wie kam es zu dem Film „Sons“?

Ich habe versucht, einen Film in Hollywood finanziert zu bekommen. Das hat mich zwei Jahre gekostet, und ich bin noch nie in meinem Leben so ununterbrochen belogen worden.

Wie entstand die Geschichte?

Mein Vater hatte einen schweren Verkehrsunfall und lag im Krankenhaus, durch diese Tragödie bin ich ihm nähergekommen. Ich hatte den Wunsch, etwas Außergewöhnliches für ihn zu tun. Die drei Brüder in dem Film repräsentieren drei Teile meiner selbst. Filmemachen ist für mich etwas Katharsisches...

Hat dich das Filmemachen verändert?

Ja, meine Filme haben mich verändert, und ich habe meine Filme verändert. Am Anfang war es ein Kampf, Lenz zu machen war wie ein Krieg. Ich habe alles selbst gemacht, ob Produktion oder Schnitt, ich habe Selters ausgefahren, um noch eine Rolle Film kaufen zu können. Lenz war so, als ob man jemand anschreien würde, mit Sons versuche ich ein Gespräch aufzunehmen. Ich höre auch mehr darauf, was um mich herum passiert, als darauf, was in mir vorgeht.

Was hat dich dazu gebracht, solche Anstrengungen zu unternehmen?

Ich war gerade nach New York gekommen, bin dann krank geworden, lag nur noch im Bett mit einem Buch, und ich spürte das erste Mal meine Sterblichkeit. Ich wollte etwas dagegen tun. Mit einem Film kannst du das erreichen. Ein Film kann fast ewig leben, als Künstler macht er dich unsterblich. Natürlich, Kopien können zerstört werden, aber wenn du einen Film gemacht hast, hast du das Gefühl, die Beschränkung der Zeit aufgehoben zu haben. Ich wußte anfangs gar nichts übers Filmemachen. Das Labor zum Beispiel fand ich, indem ich ins Telefonbuch schaute. Zufällig nahm ich dann Technicolor, die vor allem für die großen Hollywoodproduktionen arbeiten. Da brachte ich meine 16-mm -Kopie hin.

Manchmal erinnere ich mich an diese Zeit, als ich 20 war, und an diesen Typen, der nicht an die Tür geklopft hat, sondern einfach hineinging. Ohne diese naive Gewalt wäre ich nie Filmemacher geworden. Wenn ich mir Gedanken gemacht hätte, was hinter der Tür ist, wäre ich nicht hineingegangen.

Bist du ein Workaholic?

Ich hoffe nicht. Ich habe mal ein Gedicht gelesen, in dem der Dichter sagte, ein Gedicht zu schreiben gibt dir die Freude, deinen eigenen Gott zu erschaffen. Das Gefühl habe ich auch, wenn ich einen Film mache. Ich erschaffe etwas, das größer ist als ich selbst. Wenn man einmal erlebt hat, wie sich die Einzelteile, Töne und Bilder, Menschen und Gegenstände, zu einem Ganzen zusammenfinden, will man ohne dieses Gefühl nicht mehr leben - du beobachtest es und stellst es gleichzeitig doch her.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen