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Größer als der Keller

■ Eigentlich nicht weiter erwähnenswert? Surrogat und Parole Trixie im Molotow

Es folgt, ahem, ein Lavieren. Eigentlich sollte diesem Konzert gar nicht so viel Platz eingeräumt werden, wie es hier geschieht. Und das nicht etwa, weil die Jugend vor verrohenden Einflüssen geschützt werden müsste. Nein, Surrogat verherrlichen keine Aggression (zumindest keine, die ein Gang durch eine vorweihnachtliche Einkaufstraße oder entlang der Lokstedter Automeile nicht ohnehin hervorzurufen imstande wäre), sondern sie propagieren allenfalls lodernde Sorge; sie beten auch keine kruden Gottheiten oder andere Größen an, deren Kulte weniger sozialverträglich wären als die vier, fünf hierzulande mit dem Status Religion geadelten großen Gruppierungen. Es ist auch kein Akt gegen die Nischen aneignende Kulturindustrie, eines gerechten Zorns gar auf das für so ausdrücklich „Independent“ im Munde führende immer heikle Kuscheln mit einem Major-Label der Grund, das Gastspiel des beliebten Berliner, tja, Rock-Trios ein wenig schweren Herzens zu den Konzert-Highlights der Woche zu zählen (zu denen ihre Konzerte in der Vergangenheit freilich immer zählten) – es freilich doch zu tun.

Es ist vielmehr die inzwischen doch vorauszusetzende weitgehende Bekanntheit Surrogats – „die sind doch sowas von gehypt worden, das wird so voll, da kriegst du keinen Fuß auf den Boden“. Wer um das Erscheinen ihres letzten Albums Rock herum auch nur irgendein nicht völlig verstrahltes Printmedium (und von denen hatten auch so manche das Thema) aufschlug, musste darüber stolpern: Vom (Wieder-) Erstarken einer (spezifisch) Berliner Musiklandschaft war die Rede; Surrogat, die mit Thin Lizzy, amtlichen James Browm-Backingbands und Toco-tronic in etwa gleich viel zu tun haben, waren die neuen Fehlfarben, Geisterfahrer oder derlei; Feuilletons und Amtsblätter feierten gleichermaßen an Frontmann Patrick Wagner entdeckten Idealismus („angenehm aufgekratzt“) und den Mut zur Peinlichkeit („Größenwahn“). Dass die Band, bei der er skandiert, da dem ökonomisch (hoffentlich) längst einsichtigeren größeren Konzertort fernbleibt und auch die zweite Hamburg-Show innerhalb eines guten halben Jahres wieder im ROCK-Schuppen Molotow abhält, ist grundsympathisch (und ein wenig selbstmörderisch für das Publikum).

Sprechen wir da doch noch etwas von der Hamburger Vorgruppe namens Parole Trixie. Denen wären (und sind vermutlich) – von einer sogenannt objektiven (in vulgo: männlich-universalisierten) Warte aus – alle Attribute, die für (im weitesten Sinne) „Mädchenbands“ zu haben sind, zu attestieren. Und die münden ja eigentlich alle in eine „Andersartigkeit“: Der Gesang ist dann „eigenwillig“, die Instrumente ja gar nicht „richtig gespielt“ usw. usf. – Was in guten Momenten die von den selben Instanzen an Surrogat so geschätzten Qualitäten – Dringlichkeit, mutiges wieder Verwenden von lange Verpöntem, Bollern, Rock – in Sachen Brisanz locker zu toppen imstande ist; Rolling Stone-Rezensenten mögen das anders sehen. Alexander Diehl

Donnerstag, 21 Uhr, Molotow

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