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Archiv-Artikel

Griff in die Augen

GEWALT Ging die Polizei am Samstag brutal gegen NPD-Gegner vor? Arzt eines Demonstranten ist geschockt, die Polizei schildert ihre Sicht des Geschehens

„Selbstverständlich wurden keine Straftaten begangen“

Polizeisprecher Dirk Siemering

Ein Bremer Hausarzt, der einen am Samstag von der Polizei verletzten jungen NPD-Gegner behandelt, hat heftige Kritik an den Festnahmemethoden der Polizei geübt. Diese habe „folterähnliche Methoden eingesetzt“, so der Gröpelinger Mediziner Hans-Joachim Streicher.

Er habe am Montag einen jungen Mann, der im Neustadtspark festgenommen wurde, untersucht. Sein Patient habe neben Gesichtsprellungen und einer Schulterzerrung „seltsame Verletzungen“ aufgewiesen: eine Hodenquetschung und eine Quetschung der Weichteile am Oberschenkel. Die seien ihm zugefügt worden, als er nach seiner Festnahme weggetragen wurde. Außerdem sei ihm gezielt in die Augenhöhlen und die Nasenlöcher gegriffen worden, so Streicher. „Das hat für mich mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs bei jemand, der sich einer Verhaftung widersetzt, wenig zu tun.“ Er glaube, dass dem Demonstranten „durch gezielte Griffe gegen die Sinnesorgane und die empfindlichen Weichteile schwere Schmerzen zugefügt werden sollten, ohne ihn dabei zu verletzen.“

Die Polizei hat derweil zu anderen Vorwürfen Stellung genommen, die nach ihrem Einsatz vom Samstag erhoben worden waren. Laut Polizeisprecher Dirk Siemering seien die Wartezeiten von Anwälten vor dem Polizeigewahrsam durch den Transport der Festgenommenen und die „Eingangserfassung“ im Polizeigewahrsam entstanden. Außerdem seien Anwälte teils noch vor dem Eintreffen ihrer Mandanten am Präsidium erschienen.

Die Behinderung eines Rettungswagens auf seinem Weg zu einem Verletzten in der Pappelstraße rühre daher, dass Polizisten von 200 Personen „aus dem Aufzug heraus angegangen“ worden seien.

Zu dem Vorwurf, ein Rollstuhlfahrer sei von PolizistInnen aus seinem Rollstuhl geschubst und liegen gelassen worden, sagte Siemering, dies könne „nach sorgfältiger Auswertung aller vorliegenden Daten nicht bestätigt werden“. Videomaterial einer Agentur zeige vielmehr, dass „Unbeteiligte ebenso wie Radfahrer und ein Kameramann von durchbrechenden Gruppen umgerannt“ wurden.

Auf den Vorwurf des präventiven Einsatzes von Pfefferspray gegen die erste Reihe des Demonstrationszuges am Leibnizplatz ging die Polizei nicht ein, begründete aber ihr Vorgehen in der Pappelstraße. Dort seien zwei größere Gruppen von der genehmigten Route abgewichen um zur NPD zu gelangen. Als die rund 200 Personen gestoppt wurden sei aus der Menge u.a. Pyrotechnik gegen Einsatzkräfte geworfen worden“, die Demonstranten hätten Verletzungen von Polizisten „billigend in Kauf genommen“. Deshalb mussten „zum Schutz der Einsatzkräfte Reizstoffsprühgeräte eingesetzt werden“, so Siemering.

Er bestätigte den Einsatz von Zivilbeamten zur „Aufklärung“, sagte aber nicht, ob diese sich auch dem schwarzen Block angeschlossen hätten. „Selbstverständlich wurden keine Straftaten begangen.“

Die Polizei wies die Zahl von über 300 verletzten DemonstrantInnen zurück. Laut dem Rettungsdienst habe es drei verletzte Veranstaltungsteilnehmer und drei verletzte Einsatzkräfte gegeben. Christian Jakob