: Greifswald-Direktoren gefeuert
■ DDR-Umweltminister Steinberg schickt Akw-Generaldirektor Lehmann und Betriebsleiter Brune in die Wüste
Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Supergau für die Spitze der maroden Atomzentrale in Greifswald: Acht Monate nach der Wende in der DDR befinden sich Generaldirektor Reiner Lehmann und Betriebsdirektor Wolfgang Brune im unbefristeten Urlaub. Der unsanfte Abgang der obersten Atomiker in der DDR erfolgte auf Veranlassung des Ostberliner Umweltministers Steinberg (CDU). Formal zuständig für die Entlassung ist allerdings die zentrale Treuhandanstalt der DDR, die auch den Atomkomplex an der Ostsee übernommen hat. Offiziell werden dem Direktoren-Duo allgemeine „Mängel in der Betriebsführung“ vorgeworfen. Von der Untersuchungskommission war ihnen vorgehalten worden, sie hätten „bis in die jüngste Zeit hinein gravierende Verstöße gegen die Betriebsvorschriften“ zugelassen. Unter anderem geht es um einen Störfall, bei dem noch im Februar dieses Jahres der Reaktor trotz eines Lecks im „Primärkreisreinigungssystems“ mit voller Leistung weitergefahren wurde. Außerdem werden Lehmann und Brune für Verzögerungen verantwortlich gemacht, die sich bei der Errichtung eines Heizwerkes für Greifswald auf dem Akw -Gelände ergeben haben. Das von Bonn mit 30 Mio. DM bezuschußte Projekt soll die Fernwärmeversorgung für Teile Greifswalds sicherstellen, wenn zum Jahresende auch der letzte der ReaktorblöckeI bis IV abgeschaltet wird. Ursprünglich sollte im Mai mit dem Bau der Anlage begonnen werden. Tatsächlich konnte ein verbitterter Umweltminister Steinberg erst am vergangenen Samstag den Grundstein legen. Ob das Heizwerk noch rechtzeitig vor dem Winter in Betrieb gehen kann, erscheint fraglich.
Auf die Posten der beiden geschaßten Direktoren sind unterdessen zwei Männer aus dem zweiten Glied der Atomzentrale vorgerückt. Als „amtierender Geschäftsführer“ fungiert jetzt der „Direktor für Technik“, Heinz Drews, als „amtierender Beriebsleiter“ der Produktionsleiter Rolf Meyer. Im Betrieb selbst stößt der Wechsel an der Spitze offenbar auf Unwillen. Man habe Lehmann und Brune „im Prinzip als Fachexperten geschätzt“, erklärte Pressesprecher Dietmar Brauer der taz. Beide hatten die Betriebsmannschaften öffentlich stets gegen alle Angriffe verteidigt. Außerdem wird bezweifelt, ob die „Nachrücker“ für die Schlampereien nicht ebenso zur Verantwortung zu ziehen wären.
Die Hoffnung, daß wenigstens zwei der vier Altreaktoren in Greifswald nach einer Nachrüstung wieder in Betrieb gehen, hat weder die Belegschaft noch das Ostberliner Umweltministerium aufgegeben. Die Blöcke III und IV sollen „vorrangig rekonstruiert“ werden, meinte Brauer. Der neue, aber nach BRD-Atomrecht nicht genehmigungsfähige Block V soll, so Brauer, möglichst bald in Betrieb gehen. Er verfügt über eine noch auf DDR-Recht basierende Probebetriebsgenehmigung. Nach zwei Jahren soll der Reaktor wieder abgeschaltet und mit bundesdeutscher Leittechnik von Siemens/KWU ausgestattet werden. Für eine Betriebsgenehmigung nach bundesdeutschem Atomrecht soll aus dem ebenfalls praktisch fertiggestellten Block VI die gesamte Leittechnik wieder herausgerissen und durch Westprodukte ersetzt werden.
Das Atomkombinat bei Greifswald wurde im Juli in zwei GmbHs umgewandelt - eine Gesellschaft für die Schrottreaktoren I bis IV und eine andere (Energiewerke Nord im Aufbau) für die neuen Meiler. Die West-Stromkonzerne RWE, PreussenElektra und Bayernwerke wollen sich nur an den Blöcken V bis VIII beteiligen - wenn die Betriebsgenehmigung nach BRD-Atomrecht vorliegt.
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