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Grauzellen im Staatsdienst Von Christian Försch

Zur Zeit wird uns erklärt, daß der Kapitalismus in schönster Ordnung wäre, gäbe es bloß den Arbeiter nicht. Der deutsche Arbeiter ist zu teuer, zu faul, zu nervös, zu oft beim Doc und auf den Malediven. Das jedenfalls wollen die staatstragenden Interessenvertreter ihrem Volke glauben machen: CDU, Arbeitgeberverband, der tägliche Kot, frisch aus der Presse. Dasselbe Bild an den Universitäten: Es gäbe überhaupt keine „Krise der Hochschule“, wenn da keine Studenten wären. Professor und Sekretärin würden harmonisch Hand in Hand arbeiten, Forschungs- und Lehrbetrieb florierten, wenn nicht alljährlich durch selbsternannte „Erstsemester“ ein neuer Entzündungsherd entstehen würde. Der Strukturplan für Berlin setzt dagegen ein Zeichen: Er streicht 15.000 Studienplätze, angeregt von westdeutschen Professoren aus einem Gremium mit dem monströsen Titel Landeshochschulstrukturkommission. Womit wir beim Thema wären: unseren Professoren (ich spare mir die -Innen, denn es geht um Realitätsnähe).

Hofgelehrte hatten, wie Hofpoeten, die Angewohnheit, jedes Machwerk mit einer Bauchpinselei des Potentaten zu beginnen und danach mit Zunder zu sparen. Demokratien haben aus der Geschichte gelernt, ebenso die hochgestellten Demograzien. Sie haben sich das Recht vorbehalten, Denker zu berufen, die folglich bei ihrem Tagwerk der Berufung eingedenk bleiben. Der verbeamtete Professor, die Grauzelle im Staatsdienst, vereidet und verhätschelt, ist eine gelungene Nachpressung des Hofgelehrtenmodells. Sein Kritikpotential ist gedämpft. Neben einem monetären Ruhekissen und einer Wochenarbeitszeit von 8 (in Worten: acht) Stunden – falls nicht gerade ein Forschungs-Freisemester verhängt wurde –, kommt dem Professor absolute Narrenfreiheit zu. Die nutzt er in der Regel auch. Etwa um sein Taschengeld aufzubessern (68 Medizin-Profs an der Freien Universität verdienten 1992 mehr als 800.000 DM nebenher) oder um klare geistige Konzepte für die Zukunft zu entwerfen oder sie wohlwollend zu prüfen: wie eben den Berliner Hochschulstrukturplan. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 sichert den Profs zudem die Mehrheit in allen universitären Gremien. (Zuerst legen wir die Mehrheiten fest, und danach spielen wir Demokratie.) So werden in den Unis weitere Grauzellen für den Staat geklont.

Nun soll der verbeamtete Professor „nur noch die Ausnahme“ sein, wenn es nach der CDU geht. Letzteres macht hellhörig: Den Beamtenstatus abschaffen? Die CDU? Da die SPD dieselbe Politik vertritt wie die CDU, nur etwa sechs Monate später, ist der Vorschlag praktisch durch. Wer die CDU kennt – und sie hat ja in den letzten Jahren einen erschreckenden Bekanntheitsgrad erreicht –, weiß, daß alles noch schlimmer kommen wird. Auch an den Unis. Vermutlich wird der Staat sich völlig aus der finanziellen Verantwortung stehlen, andererseits aber per Dekret die Strukturen bestimmen. (Präludierend die Anordnung, die Zahnmedizin an der FU sei zu schließen.) Wir lassen uns überraschen. Von einem neuen Modell, über das sicherlich gut und gerne nachgedacht worden ist. Und wer könnte das besser für den Staat (also für uns) erledigen, als eine unabhängige Professorenkommission?

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