Next Stop Nagano: Grausames Hakuba
■ Katja Seizinger gewinnt zwar Gold, versagt aber als Prophetin und muß herumdrucksen
Einen gewissen Erklärungsnotstand konnte Katja Seizinger nicht verhehlen, nachdem sie gestern doch noch den olympischen Abfahrtslauf gewonnen hatte. Ständig hatte sie zuvor beteuert, daß die Bedingungen in Japan so ungünstig für sie seien, daß sie überhaupt keine Chance habe – und dann das.
Na ja, druckste sie, es sei immer noch „mehr Nummernlotterie und Materialschlacht“ gewesen als sonst im Weltcup, aber insgesamt habe sie „ein Riesenglück“ gehabt. Nach Regen am Samstag, war es am Sonntag kälter geworden. Gestern war die Piste dann so, wie sie Seizinger liebt: „Hart, bucklig, eisig“.
Schlecht für Super-G-Siegerin Picabo Street, die einen weichen Untergrund bevorzugt, gut für die exzellenten Technikerinnen Seizinger und Pernilla Wiberg, die nicht nur in der Spezial-, sondern auch in der folgenden Kombinationsabfahrt die Plätze eins und zwei belegten.
Gar so billig wollte Seizinger die Japaner aber doch nicht wegkommen lassen. Hart sei die Piste zwar gewesen, aber: „Auf einmal war der Nebel da. Das Rennen hätte auch nicht stattfinden können.“ Diese fatale Wendung blieb der 25jährigen glücklich erspart, und damit hatte das „Wechselbad der Gefühle“ in den letzten Tagen ein Ende. „Mal kommt ein positiver Wetterbericht, und du denkst, du hast eine Chance, dann kommt der nächste Wetterbericht, und es ist fast schon wieder vorbei.“ Grausames Hakuba.
In der Kombination, die heute mit dem Slalom zu Ende gehen soll, heißt die klare Favoritin Wiberg. Die Schwedin bezeichnet zwar den Abfahrtslauf als „Formel 1 des Skifahrens“ und mißt ihrem Silber in Nagano mehr Bedeutung zu als dem Kombinationssieg bei Olympia 1994, aber mitnehmen würde sie eine hübsche kleine Goldmedaille durchaus.
Seizinger hat ihr Soll mit der Verteidigung des Abfahrtsgoldes von Lillehammer erfüllt und kann am Ende sogar Hakuba eine amüsante Seite abgewinnen. Das samstägliche Slalomtraining mit Regenschirm zum Beispiel: „Das sind solche Extremsituationen, das ist fast schon wieder lustig.“
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Köstritzer Schwarzbier und Thüringer Rostbrätl? Kein Problem in Nagano. Doch der Thüringer Pavillon in der Nähe des Zenkoji-Tempels bietet nicht nur derartige erlesene Köstlichkeiten, er erfreut deutsche Olympiatouristen und japanische Deutschtumtouristen auch mit anderen Sensationen. Da wäre zum Beispiel die Band Rest of Best, die alte Gassenhauer wie „Skinny Minny“ intoniert. Mehr Rest als Best, aber den karaokegestählten Japanern gefällt es glänzend.
Für die angereisten Olympiatouristen ist das Festzelt nicht nur ein großer Brocken Heimat, sondern auch Refugium. Sie sind größtenteils in einem alten Samurai-Schloß untergebracht, wo sie zu zehnt pro Zimmer auf Reismatten schlafen. Das Gemäuer ist nach Bibberzeugenberichten schweinekalt. Die installierten Bolleröfen dürfen die Gäste nämlich nicht selbst bedienen. Dies ist einheimischen Gebirgsbewohnern vorbehalten, die andere Vorstellungen von molligen Innentemperaturen haben. Kaum verwunderlich, daß die Frostgefährdeten sich so lange wie möglich im warmen Zelt mit Tanz, Trank und german Gemütlichkeit für die harte Nacht wappnen.
Attraktion des Thüringer Tempels ist, neben einem gewissen „Drehorgel-Rolf“ aus Halle, natürlich die Sammlung von Medaillengewinnern aus dem sportlich hochwertigen neuen Land. Gunda Niemann, Silke Kraushaar, Müller/Krauße/Behrendt, sie alle finden sich gern zu Plausch und Bratwurst ein. Ihnen zu Ehren gibt es in den täglichen „Pavillon-News“ sogar einen Medaillenspiegel, in dem Thüringen als eigene Sport-Großmacht in der Spitzengruppe aufgeführt ist. Matti
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