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Archiv-Artikel

christoph schultheis Gratulatorische Trittbrettfahrer

Charlotte Roche gewinnt den Grimme-Preis. Für „Fast Forward“ auf Viva. ProSieben fühlt sich geschmeichelt. Und wirbt für sich

Wir gratulieren Wigald Boning zum Adolf-Grimme-Preis 2004. Ehrlich! Und ProSieben? „ProSieben gratuliert Charlotte Roche zum Adolf-Grimme-Preis 2004.“ Jedenfalls steht das so in einer Pressemitteilung, die der Sender kurz nach Bekanntgabe der Grimme-Preisträger in die Welt setzte. Und weiter? Weiter schreibt ProSieben: „Charlotte Roche gewinnt den Grimme-Preis für ihre Viva-Sendung ‚Fast Forward‘. In ihrem Late Night Talk ‚Charlotte Roche trifft …‘ auf ProSieben (montags, 23.20 Uhr) entlockt Charlotte ihren prominenten Gästen intime Statements.“

Und wer jetzt genau aufgepasst hat, könnte meinen, das eine habe mit dem anderen doch gar nichts zu tun, und ProSieben der gratulatorischen Trittbrettfahrerei bezichtigen. Wir nicht. Schließlich wurde Roche im Oktober ja tatsächlich von ProSieben angekauft, um (anders als etwa Claus Strunz, der nicht nur die Bild am Sonntag leitet, sondern auf N24 auch einen total unabhängigen Polittalk moderiert) dort das zu tun, was sie auch schon auf Viva tat. „Ich werde bei ProSieben genau das Gleiche machen wie bei ‚Fast Forward‘“, hat sie damals selbst gesagt. Insofern ist der ungebremste Pressemitteilungsdrang von ProSieben mehr als verständlich: Wenn die Grimme-Jury Roches „Wortwitz“ lobt, ihre „listige Naivität“, ihren „Spott“, ihre „Ketzerei“ und (zu Recht) ihre „Sprachkreaturen“ und „Geistesgegenwart“, dann gibt die junge Frau das alles ja nicht nach Dienstschluss beim Viva-Pförtner ab, oder? Oder beim Dienstbeginn am ProSieben-Empfang.

Nein, im Gegenteil muss man Roche und ProSieben beim Wort nehmen, mit listiger Naivität – oder wie folgt: Wo die Phonoindustrie über lukrative Marktsegmente ideologistische Schildchen wie „independent“ oder „alternative“ klebt, da kann es auch schon mal passieren, dass man Roches dazugehöriges „Attitude“ für eine „Haltung“ hält und, inmitten eines phonoindustriellen Dauerwerbesenders wie Viva, für preiswürdig. Keine Ahnung. Roches Viva-Klon auf ProSieben allerdings ist, bei aller Liebe, ein ausgesprochenes PR-Format, in dem die frisch gekürte Grimme-Preisträgerin Leute wie Kylie Minogue und Sänger Sasha zu ihren neuen CDs befragt, Uma Thurman und Quentin Tarantino zum Start ihres neuen Films oder einfach mal so mit ProSieben-Ziehkind „Bully“ Herbig übers Bavaria-Filmpark-Gelände gurkt, bevor ProSieben Herbigs „Schuh des Manitu“ als Top-Programmhighlight ausstrahlt.

„Ich werde bei ProSieben genau das Gleiche machen wie bei ‚Fast Forward‘“, sagte Roche, der wir natürlich auch ganz doll zu ihrem Grimme-Preis gratulieren. Nur den Juroren nicht.