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Grapefruitsaftsucht

Das Leben verpasst, dafür den Karpfen gefunden. Und den Ponyhof: Kiyoshi Kurosawas pathosfreier Film „Als Mensch zugelassen“ im fsk

von DETLEF KUHLBRODT

Menschen leben in ihrer Zeit. Das klingt ziemlich banal und muss auch nicht immer so sein. Wenn jemand einen Unfall hat, ins Koma fällt und nach zehn Jahren wieder aufwacht, wie Yutaka Yoshii, der 24-jährige Held des Films von Kiyoshi Kurosawa, ist er aus der Zeit gefallen. Die Zeit der anderen ist nicht mehr seine Zeit, und er ist nun nur noch ein Gast im Leben der anderen; wie ein Träumer, der um die Brüchigkeit seiner Weltwahrnehmung weiß und höflich, allerdings ohne rechtes Engagement, so tut, als sei er ein legitimer Erdenbürger.

So ähnlich geht Yutaka Yosshi (Hidetoshi Nishijama), ein schlanker junger Mann mit langen Haaren, durch den im vorletzten Forumsprogramm der Berlinale umjubelten Film „Als Mensch zugelassen“. Er scheint nicht ganz da, nicht ganz bei der Sache zu sein, bei all dem, was er tut; mit höflicher Teilnahmslosigkeit geht er durch eine Welt, die nicht mehr seine ist.

Das Leben nachholen

Mit 14 wurde er überfahren; zehn Jahre später wacht er auf in einer veränderten Welt, mit einem veränderten Körper, in einem Krankenhaus in Tokio. Der, der ihn damals ins Koma gefahren hat, ein Mann Mitte 40, besucht ihn. Sie sprechen im Garten. Der Unfall hätte auch sein Leben verändert, sagt er, und dass er fürs Krankenhaus bezahlt und sich verschuldet hat; er sagt, auch ihm seien zehn Jahre seines Lebens gestohlen wurden und dass er nun nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Dann geht er.

Yutaka wird auf sein Leben in der Gegenwart vorbereitet, der Körper wird wieder fitgemacht und der Kopf soll sich tausend Videos, Zeitschriften und Bücher anschauen, um die Zeit aufzuarbeiten, in der er da war, ohne da zu sein, als sei das Leben eine Schule, in der man ab und an mal ein Schuljahr wiederholen kann.

Möglicherweise ist das Sitzenbleiben eine der wenigen Utopien, die die Schulzeit so bietet, doch Yutaka meint nichts verloren zu haben. Irgendwann nur erinnert er sich an Grapefruitsaft, und er möchte unbedingt Grapefruitsaft trinken und läuft lange durch die Nacht auf der Suche nach einem Automaten mit Grapefruitsaft. Nicht nur die Sowjetunion ist in seiner mentalen Abwesenheit zusammengebrochen; auch die Familie von Yutaka lebt nicht mehr beieinander.

Mit sparsamen Mitteln erzählt Kiyoshi Kurosawa – ein ehemaliger Soziologiestudent – von den distanzierten Treffen zwischen dem jungen Mann, seiner Schwester, seiner Mutter und seinem Vater, der auswandern möchte. Fujimori (Koji Yakusho), der nonkonformistische Freund seines Vaters, bemüht sich darum, Yutaka wieder im Leben heimisch werden zu lassen. Zusammen leben sie auf dem vorstädtischen Grundstück, auf dem Yutakas Familie früher einen Ponyhof hatte und Fujimori inzwischen eine Fischfarm betreibt. Gegen Eintrittsgeld können die Leute in einem Schuppen Karpfen angeln. Ein nachdenklich schöner Sport! Yutaka träumt davon, den Ponyhof wieder zu eröffnen und damit vielleicht wieder Anschluss an seine Kindheit zu finden. In dem großen Eifer, mit dem er sich ans Werk macht, liegt jedoch etwas Provisorisches.

Zusammen mit Fujimori, seiner Schwester Chizuru und ihrem sympathisch lebensuntüchtig wirkendem Freund baut Yutaka den Ponyhof wieder auf und eine Milchbar dazu. Alles sieht zu prima aus, um wirklich zu sein. Zufällig macht der Mann, der Yutaka damals umgefahren hat, bei der Milchbar Rast. Yutaka trägt ein T-Shirt mit einem gelben Smiley drauf. Darunter steht „Love“. Der Mann ist schockiert und entsetzt, sein ehemaliges Opfer, für dessen Krankenhausaufenthalt er zehn Jahre seines Lebens gegeben hatte, wiederzusehen. Die Harmonie ist gestört, und das vermeintliche Glück des anderen macht ihm sein Unglück noch unerträglicher. Zunächst waren beide unglücklich; „wir waren fiftyfifty. Ich kann es nicht ertragen, dass du nun glücklich bist.“

Wiedersehen mit dem Opfer

So kommt er wieder in der Nacht und beginnt mit einer Motorsäge alles zu zerstören. Zunächst ist Yutaka entsetzt; dann beteiligt er sich; eine wunderschöne Szene, deren vermeintliche Absurdität unmittelbar einleuchtet und die zunächst an Sogo Isshis legendäre „Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb“ erinnert – nur dominiert hier eher das tragische Moment. Am Ende stirbt zufällig der Held.

Viele japanische Filme hatten in den letzten Jahren ähnliche Themen behandelt. Im Gegensatz allerdings etwa zu Isshin Inudos großartigem „Across a Gold Prairie“ und ungefähr zehn anderen jungen japanischen Filmen allein des letzten Jahres, stirbt Yutaka, der in dem Leben, von dem Kiyoshi Kurosawas stiller und langsamer Film erzählt, nur Gast war, nicht von eigener Hand, sondern eher zufällig.

„Seitdem ich mich mit Film beschäftige, ist mein größtes Vorbild das amerikanische Kino“, sagt der Regisseur. Manche Passagen von „Als Mensch zugelassen“ erinnern an Jim Jarmusch. Nur hat Kurosawa alles Pathos vermieden.

„Ningen Gokaku – Als Mensch zugelassen“. Regie und Buch: Kiyoshi Kurosawa. Mit Hidetoshi Nishijima, Koji Yakusho u.a. Japan 1998, 109 Min. (OmU) Im fsk am Oranienplatz, ab morgen, 20.30 Uhr

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