: Gott, was sind wir brav!
TOURISMUS Die populären Irrtümer des Reisens klärt der Geologieprofessor Albrecht Steinecke auf. Und entsorgt die Tourismuskritik gleich mit
VON CHRISTEL BURGHOFF
Nicht etwa das große Freizeitvergnügen Europapark Rust zählt in Deutschland die meisten Besucher (vier Millionen), sondern ein Weltkulturerbe, der Dom zu Köln. Sechs Millionen Menschen besuchen alljährlich das gotische Bauwerk. Wer je glaubte, dass Touristen immer nur Spaß suchen, sieht sich getäuscht: Albrecht Steinecke, Geografieprofessor und Tourismusexperte an der Uni Paderborn, klärt einen der populärsten Irrtümer mithilfe schlichter Zahlen auf. Er kommt zu dem Schluss, dass Kulturtourismus Konjunktur habe. Und überhaupt, meint Steinecke, seien Touristen viel besser als ihr Ruf. Ballermann-Exzesse, schön und gut, doch die Mehrzahl der Touristen sei „bieder und langweilig, aber auch wissbegierig und an neuen Erfahrungen interessiert“.
15 Irrtümer und eine lehrreiche Lektüre bietet das Buch „Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus“, mit dem Albrecht Steinecke hier die Tradition der Kleinen Lexika der Öko-, Wellness- und sonstigen Irrtümer fortführt und fröhlich Minuspunkte für Klischees verteilt. Man denke nur an den „Reiseweltmeister Deutschland“, der alljährlich in der Presse die Runde macht. Wer erfindet so etwas?
Der Minuspunkt für den „Reiseweltmeister“ geht ganz klar an die Medien, wenn sie den deutschen Touristen diesen ominösen Titel verleihen. Trotzdem, ein Reiseweltmeister ist kein Fußballweltmeister und schon gar kein Grund, auf irgendetwas besonders stolz zu sein. Jeder Franzose und noch jeder Finne unternimmt durchschnittlich mehr Reisen als jeder Deutsche, hat Steinecke ausgerechnet.
Doch so aufklärerisch sich Steinecke auch gibt, so befremdlich wirkt das Abklatschen immer dann, wenn er in die frühen Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückgeht, um den Tourismus gegen seine Kritiker zu verteidigen. Dem Tourismus wurden erstmals die Kosten der schönsten Wochen des Jahres vorgerechnet. Irrte die Tourismuskritik wirklich?
Immerhin ging es vor allem um solche Themen wie Landschaftsverbrauch und Ressourcenverschleiß. Es war bereits bedrohlich eng geworden an den eilig mit Bettenburgen zugebauten Stränden rund ums Mittelmeer. Doch Steinecke nutzt die Polemik, das Pathos, die Aggressivität jener Ära wie eine Steilvorlage, um kritische Argumente zu entkräften.
Dem alten Statement von der Umweltzerstörung etwa macht der Wissenschaftler die Gegenrechnung mit vielen wunderbaren Projekten des Ökotourismus und gelungenem Ökomanagement auf, mit Nationalparktourismus und den kommerziellen Private Game Reserves, wo sich gut situierte Touristen als „Financiers von Artenerhalt und Naturschutz“ betätigen können. Eine Leistungsshow, die sich heute bis in die touristischen Luxussegmente erstreckt. Allerdings erst heutzutage. Steinecke präsentiert nämlich keine Projekte von damals – die gab es auch noch nicht –, sondern Entwicklungen der letzten 30 Jahre.
Steinecke vermittelt den Eindruck, dass Tourismuskritiker ziemlichen Nonsens verbreiten. Wir halten das für ein Klischee, für einen weit verbreiteten Irrtum, der aufgeklärt gehört.
■ Albrecht Steinecke: „Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus“. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2010, 29,80 Euro