: Gorbatschows Risiko
■ Das Entgegenkommen Moskaus bei den Abrüstungsverhandlungen
US-Vertreter machten vor allem den Positionswandel Moskaus für die abrüstungspolitischen Erfolge des Außenministertreffens verantwortlich, berichteten die Nachrichtenagenturen am Wochenende aus Jackson Hole. Dieser Einschätzung ist wenig hinzuzufügen. Sollte es tatsächlich im nächsten Jahr zu Verträgen bei den Genfer Start- und den Wiener Verhandlungen über konventionelle Waffen kommen, ist das wesentlich dem neuerlichen Entgegenkommen Moskaus bei SDI und den Kampfflugzeugen zu verdanken. Gorbatschow geht dabei ein hohes Risiko ein, auch innenpolitisch gegenüber der eigenen Generalität. Denn das SDI-Projekt wird - bei allen technischen Schwierigkeiten - von der Bush -Administration beharrlich weiterverfolgt. Auch in einer gegenüber Reagans ursprünglicher Vision modifizierten Form bedeutet die Verwirklichung von SDI einen destabilisierenden Aufrüstungsschritt gefährlicher neuer Qualität. Doch Gorbatschow setzt offenbar darauf, daß einmal abgeschlossene Verträge eine politische Dynamik auslösen, die die Realisierung neuer Aufrüstungsprojekte im Westen unmöglich macht. Auf entsprechende Erfahrungen in den fast zwei Jahren seit dem Mittelstreckenvertrag vom Dezember 1987 kann er sich dabei allerdings nicht berufen. Auch das INF-Abkommen wurde erst möglich, nachdem Moskau beim Gipfel in Reykjavik im März 1987 das Junktim mit SDI aufgegeben hatte.
Doch Finanzierung, Entwicklung und Produktion der für die „Modernisierung“ des atomaren Nato-Potentials in Westeuropa vorgesehenen Waffen gehen seitdem ohne Verzug weiter. Dasselbe gilt für die Seerüstung der USA. Verzögerungen im Bereich konventioneller Waffenbeschaffung in Westeuropa entspringen keineswegs einer veränderten westlichen Politik gegenüber dem Osten, sondern sind wie zum Beispiel im Fall des Jäger 90 Ergebnis finanzieller Engpässe, technischer Probleme sowie von Differenzen zwischen den Nato -Verbündeten. Die auch in Jackson Hole wieder vor allem von Moskaus Vertretern benutzte Formel von der „neuen historischen Phase der Beziehungen“ kann nicht auf ewig über diese Tatsachen hinwegtäuschen. Geht Gorbatschows Kalkül nicht auf, wird der Rückschlag eines Tages massiv sein.
Andreas Zumach
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