Gong-Schlag: Clowns und Rassisten
Der Arbeitsbesuch des Boxers Mike Tyson sorgt für Aufregung in England
Zu guter Letzt hatte Mike Tyson in London eine Überraschung parat: Er rückte den Sport in den Vordergrund. Der böse Bube des Boxens machte deutlich, warum er eigentlich nach England gekommen war: Um heute Abend in Manchester den britischen Schwergewichtsmeister Julius Francis zu Boden zu schlagen. Oder wie er es gegenüber dem britischen Kabelsender Sky Sports sagte: „Ich werde ihn killen.“ Dann zeigte er plötzlich ungewohnte Milde: „Ich hoffe, dass er aufsteht, wenn ich ihn K.o. geschlagen habe.“
So viel Nachsicht hatte der 33-jährige Amerikaner in den Tagen davor nicht gezeigt. Seit er am Sonntag vor einer Woche per Concorde in London eingeflogen war, geizte Tyson nicht mit verbalen Rundumschlägen. Frauenrechtlerinnen, die vor Gericht (erfolglos) gegen die Einreise des wegen Vergewaltigung vorbestraften Boxers geklagt hatten? „Das sind doch nur neidische Weiber, die Männer sein wollen.“ Fußballer David Beckham von Manchester United? „Das ist doch der Weichling, der die Unterwäsche seiner Frau trägt. Das soll er sein lassen.“ Die Beamten des Stadtteils Brixton, die seinen dortigen Besuch als unerwünscht bezeichnet hatten? „Das sind alles Clowns und Rassisten.“ Und die Queen? „Die kann mir gestohlen bleiben.“ Was vermutlich auf Gegenseitigkeit beruht.
Auch mit Geld geizte Tyson nicht – klar, bei einer Kampfbörse von 22 Millionen Mark. Im Londoner Nobelhotel Grosvenor House am Hyde Park (wo er nächtens unerlaubterweise joggte) hatte er ein ganzes Stockwerk gemietet und den Ballsaal in ein Box-Gym umgestalten lassen. Kosten: läppische 45.000 Mark. Für Designer-Anzüge in den Nobelboutiquen der Bond Street sowie für eine mit Diamanten und Saphiren besetzte Armbanduhr und ein Armband mit Smaragden und Diamanten ließ er über vier Millionen Mark liegen. Kein Wunder, dass ihn Geschäftsinhaber mit offenen Armen empfingen.
Einen fast schon zu herzhaften Empfang erlebte Tyson im Stadtteil Brixton, ein mehrheitlich von Schwarzen bewohntes Viertel Londons und in der Vergangenheit Szene schwerer Rassenunruhen. Bei seinem Versuch, auf den Spuren von Muhammad Ali und Nelson Mandela zu wandeln, die auch schon in Brixton waren, musste sich Tyson vor der euphorischen Menge, welche die Straßen stundenlang verstopft hatten, in eine Polizeistation retten. Er konnte erst wieder gehen, als er die Massen über Megafon zum Gehen aufgefordert hatte.
Seinen Besuch in Brixton begründete er mit moralischer Verpflichtung. Das sei das Gleiche wie bei Amerikanern irischer Abstammung, für die ein Besuch von Nordirlands Hauptstadt Belfast und ein Treffen mit Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams ein Muss ist. „Wenn man ein Schwarzer ist, vor allem aus Amerika, muss man nach Brixton gehen, allein aus Respekt vor den Leuten, die dort wohnen. Mir ist es dann sogar egal, wenn dort Idioten sind, die abschätzig über mich reden.“
Bei dieser Tyson-Mania in Großbritannien rückte der Sport in den Hintergrund – zumindest bis zum Pressetraining, als er erklärte, warum die Zahl sieben für ihn wichtig ist. Tyson will mit sieben Schlägen Francis zu Boden bringen. Drei wuchtige Schläge auf den Körper, dann eine doppelte Links-rechts-Kombination Richtung Kinn – alles blitzschnell ausgeführt und seit Wochen trainiert. „Ich fühle micht gut und bin froh, dass die Vorbereitung fast vorbei ist“, sagte er.
Tyson hier, da, überall – seitenlang, stundenlang berichteten die Medien über ihn. Wo blieb da der Gegner? Der hielt sich zurück. Julius Francis (35), der als jugendlicher Krimineller selber eine lange Vorstrafenliste hatte, bereitete sich außerhalb Londons auf seinen großen Kampf vor – abgeschieden und spartanisch in einer Kaserne. Mittlerweile geläutert, der brave Bube von nebenan, glaubt er an seine Chance – im Gegensatz zu seinem Manager Frank Maloney. Der hat die Sohlen von Francis’ Boxschuhen für 50.000 Mark als Werbefläche verkauft. Clemens Martin
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