: Götter in der Stadt
Die Jan-Jan-Oper Ryusei auf Kampnagel ■ Von Christian T. Schön
Eine dreidimensionale Pixel-Mondlandschaft aus schwarzen Holzklötzen wölbt sich in der großen Kampnagel-Halle bis zur Decke. Das Bühnenbild gehört zu dem japanischen Theater-Spektakel Ryusei (Sternschnup-pen). Die neue Kampnagel-Leiterin Gordana Vnuk gibt damit – nach dem Sommerfestival Laokoon – ihr offzielles Stelldichein zur ersten Spielzeit auf Kampnagel.
Ishinha, die 1970 von Yukichi Matsumoto gegründete Theater-Company aus Osaka, Japan, besteht aus 35 SchauspielerInnen zwischen 20 und 25 Jahren und einem Produktionsstab von noch einmal 20 Leuten. Ihre riesigen Bühnenbauten sind ursprünglich für Open Air-Locations konzipiert, bei denen die Kulisse der Stadt mit dem Bühnenbild verschmilzt.
Die traditionelle Einheit von Tanz, Musik und Theater in Japan ergänzt Ishinha durch einen eigenen Slang oder Dialekt, dem „Osaka Rap“, einen melodiösen Sprechgesang, der besonders ausdrucksstark wirken soll. Der Begriff „Jan-Jan-Oper“, den Matsumoto mit seiner Company prägt, ist dem Jan-Jan-District entlehnt, einem alten Arbeiterviertel in Osaka, in dem die Theatergruppe ihren Sitz hat. Mit ihm sollen Atmosphäre und Leben dieses Viertels einfangen werden. Nach über dreißig Jahren gilt Ishinha heute in Japan immer noch als Avantgarde.
Ryusei ist der letzte Teil von Matsumotos Jan-Jan-Opern-Trilogie Ohkoku (Königreich) und „ein Versuch, den Puls des Universums aufzunehmen“ und „die Götter in der Stadt zu suchen“. Die Trilogie erzählt am Beispiel Osakas, der Heimat der Theatergruppe, von der Gründung der modernen japanischen Megapolis und von den Vorfahren, Nomaden, die sich schließlich am Delta des Yodo-Rivers niederließen.
In den Seitenarmen und Sumpfgebieten des Flusses nahm Anfang des 20. Jahrhunderts das rasante Wachstum Osakas zur drittgrößten Stadt Japans seinen Ausgangspunkt. Die Menschen siedelten in den Sumpflanden und wohnten auf Hausbooten. In Mizumachi (Wasserstadt), dem zweiten Teil der Trilogie, wird dieser Abschnitt der Geschichte durch einen 650.000 Liter fassenden Wasserkanal im Bühnenbild versinnbildlicht, in dem die SchauspielerInnen schwimmen. Ein weiteres Beispiel für die monumentalen Bühnenlandschaften des 55-jährigen Yukichi Matsumoto, die mit Fritz Langs Metropolis und Robert Wilsons Bildertheater verglichen werden. Ruß und Rauch von Osakas Industrie und Fabrikschornsteinen bilden die Grundlage für den basaltartigen Bühnenhintergrund von Ryusei. Mal erinnert er an einen finsteren Friedhof, mal an eine anonyme Hochhausburg oder einen verbrannten Wald.
Das Bild der ruhelos umherirrenden und getriebenen Menschen, die die Stadt „gründeten“, wird in Ryusei nun stellvertretend zu einem Bild von in Großstädten umherstreifenden und sich bekämpfenden Jugendgangs. In den zehn Szenen der Jan-Jan-Oper werden sich Zukunft und Vergangenheit des Lebensraums (und Lebensform) Stadt gegenüberstehen.
Wie man sich die komponierte Musik von Ryusei vorstellen müsse, wird Matsumoto gefragt. In Osaka, antwortet er, gebe es so genannte Tsching-Dong-Jan-Bands, die Werbung für Geschäfte machen. Jeder Musiker spiele ein Instrument; eins mache halt „tsching“ und das andere „dong“. So ähnlich müsse man sich die Musik vorstellen. Ryusei sei also in erster Linie als „tönendes Bild“ zu lesen, sagt er.
Es ist nicht allein die Monströsität der Bühne, auch die Ungewiss-heit dessen, was von einer „Jan-Jan-Oper“ zu erwarten ist, zeigt deutlich, was Gordana Vnuk mit dem Spielzeitauftakt von Ishinha bewirken möchte: lange vergessene Formen (hier die monumentale), die gemeinsamen Geist und politische Aussage besitzen, wieder zu entdecken. Mit den europäischen Form- und Kategorie-Begriffen, erklärt sie wiederholt, werde dem Stück nicht beizukommen sein. Klotzen statt Kleckern lautet die Devise. „Japanisches Wunder!“ schrieb ein australischer Fan auf der Homepage des Adelaide-Festivals, wo Ishinha letztes Jahr erstmals außerhalb Japans auftrat, und: „Lang lebe Jan-Jan-Oper!“
Premiere: morgen 20 Uhr. Weitere Aufführungen: 6.-12. Oktober, 20 Uhr. Kampnagel k6.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen