: Godzilla und der nasse Sack
■ Schwergewichtsboxweltmeister Mike Tyson (22) verlor sensationell gegen James „Buster“ Douglas (29) in der zehnten Runde durch K.o. / Der Sieger: „Ich tat es für meine Mama“ / Sugar Ray Leonard leicht indigniert
Tokio (dpa) - Schwergewichtsboxweltmeister Mike Tyson ist entthront. „Iron Mike“, in 37 Profikämpfen ungeschlagen, wurde bei seiner zehnten Titelverteidigung am Sonntag in Tokio nach einer schwachen Leistung sensationelles K.o. -Opfer von James „Buster“ Douglas nach 23 Sekunden in der zehnten Runde des amerikanischen Boxerduells. „Underdog“ Douglas aus Ohio zerstörte mit dem einem der überraschendsten Erfolgen der Boxgeschichte Tysons Nimbus der Unbesiegbarkeit und dessen 25-Millionen-Dollar-Zahltag gegen Evander Holyfield.
„Es freut mich, daß Tysons Hochmut bestraft wurde. Sein nächster Kampf war bereits unterzeichnet, bevor er überhaupt gegen mich gewonnen hatte. Jetzt sitzt er flach auf seinem Arsch“, sagte Douglas nach seinem 30. Sieg im 35. Kampf bei vier Niederlagen und einem Unentschieden. „Er hat mich unterschätzt. Jetzt bin ich Champion. Das gibt es nicht ein Traum ist wahr geworden.“ Tyson verweigerte jegliches Interview, holte seinen Sechs-Millionen-Dollar-Scheck ab und verschwand. Douglas kassierte für seine Boxdemonstration eine Million Dollar.
High-noon in Tokio. Nur knapp 30.000 Fans verloren sich zur Mittagszeit im 63.000 Zuschauer fassenden Tokio Dome. Tyson wirkte gelangweilt, wie in all den Tagen zuvor in der japanischen Hauptstadt. Um drei Uhr morgens war er täglich aufgestanden, nur um beim Jogging der Fotografenmeute zu entwischen, unterschrieb nebenbei zwei lukrative Werbeverträge und wettete mit seinem Promotor Don King um 1.000 Dollar, daß der Kampf nicht länger als zwei Runden dauern würde. Es gab keinen Sieger in dieser Wette. Niemand hatte auf Douglas gesetzt, trotz dessen Versprechungen, „die Welt zu schocken“, und „es Mister Tyson zu zeigen“. Dabei hatte schon ein Ereignis in den Tagen zuvor bedenklich gestimmt: Tysons Sparringspartner Greg Page hatte nämlich seinen „Boss“ im Training schon einmal niedergeschlagen.
Der 29jährige aber bestimmte immer das Tempo und stellte Tyson mit überraschender Treffsicherheit und -genauigkeit vor unlösbare Probleme. Die Trefferstatistik nach zwei Runden: Douglas 52, Tyson 16. 203 Tage hatte Douglas nicht mehr gekämpft. Der Sohn des ehemaligen Mittelgewichtlers Bill Douglas wirkte vor Kampfbeginn wie einer der gefrorenen Riesenthunfische auf dem Fischmarkt in Tokio, mitleiderregend und groß. Zwei schwere Schläge hatte der 1,94-Meter-Riese bereits vor dem Kampf einstecken müssen. Drei Tage vor seinem Abflug nach Japan starb seine Mutter, in Tokio erfuhr er dann, daß die Mutter seines Sohnes unter einer schweren Nierenkrankheit leidet. „Ich wollte, ich wollte es für meine Mutter tun“, stammelte Douglas nach dem Ende und begann zu weinen. Es dauerte zwei Minuten, und er fuhr fort. „Ich hatte keine Angst vor Tyson, ich habe nur Angst vor Gott. Ich wollte es für meine Mutter tun.“
In Runde fünf mußte Tyson eine schwere Rechts-links -Kombination einstecken, und sein linkes Auge schwoll an. Der Champ lag hoffnungslos zurück nach Punkten. Nie war ihm das in seiner Profikarriere passiert. Reporter Larry Merchant witzelte: „Die Zuschauer sind hierhergekommen, um Godzilla zu sehen, aber sie sehen den falschen Godzilla.“ Tyson fehlten Aggresivität und Schnelligkeit. In Runde acht konsternierte Douglas seinen völlig indisponierten Gegner gleich zweimal. Tyson taumelte in den Seilen, stellte sich wieder und schickte den überlegenen Douglas völlig überraschend mit seinem gefürchteten rechten Haken auf den Boden. Ringrichter Meyran zählte bis acht. Douglas stand wieder. Der Gong rettete ihn.
„Das hat mich überrascht, aber nicht verletzt“, erzählte Douglas später, „aber mein Wille war heute zu stark. Ich wußte, ich hatte ihn schwer getroffen und mußte es nur noch beenden.“ In der nächsten Runde hatte er den müden Tyson am Rande eines K.o., in Runde zehn fiel der Weltmeister schließlich wie ein nasser Sack auf die harten Bretter, getroffen von zwei Rechts-links-Kombinationen. Co -Kommentator Sugar Ray Leonard sagte: „Ich kann es nicht glauben. Das gibt es nicht. James Douglas ist neuer Schwergewichtsweltmeister. Wie sich das anhört.“
Holyfield und George Foreman werden sich die Haare raufen nach den vorerst geplatzten Multimillionen-Dollar-Kämpfen gegen Tyson - aber der angeschlagenen Schwergewichtszene hätte kaum etwas Besseres passieren können. „Jetzt ist die Klasse nicht mehr nur eine Ein-Mann-Show“, sagte Promotor Bob Arum. Kurz nach Kampfende hat sein Kollege Don King eine Klage eingereicht, Ringrichter Meyran hätte zu langsam gezählt, als Douglas am Boden war. Es hätte ein K.o.-Sieg für Tyson sein sollen. Douglas lachte.
Sven Busch
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