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Archiv-Artikel

God’s own Country

Das Gute hat gesiegt. Mit geschickter Cross-Promotion und indiskutabler Konkurrenz hat der NDR der innovativen Country-Szene Norddeutschlands zum großen Auftritt verholfen – aus Versehen

Norddeutschland ist wie guter Country: Rau, etwas punkig und hoffnungslos

von Benno Schirrmeister

Um eines mal gleich klar zu stellen: Dave Dudley möchte hier niemand gerne hören. Und dies ist auch keine verspätete Berichterstattung über den Grand Prix d’Eurovision und erst recht die nationale Vorentscheidung dazu. Wie wäre das auch möglich: So etwas sieht man doch nicht.

Der Grand Prix d’Eurovision gehört zu den Dingen, die ebenso grundsätzlich abzulehnen sind, wie Truck Stop oder Gunter Gabriel. Aber es gibt Gerüchte, dass der Sieg der norddeutschen Musikrichtung Country, vertreten durch „Texas Lightning“ bei dem nationalen Dings ebenso unvermeidlich gewesen sei, wie die große Koalition im Bund. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Er war mindestens so unwahrscheinlich, wie die Jamaika-Ampel. Ja mehr noch: Während normalerweise der Mehrheitsmusikgeschmack bei der Wahl zwischen Gold und Scheiße zuverlässig für das letztere entscheidet, war dies ein Sieg des Guten. Das haben wir aus sicherer Quelle. Nämlich von Henrik Ballwanz aus Braunschweig.

Henrik Ballwanz ist Sänger der Band „The Twang“. Und „The Twang“ ist anerkanntermaßen das Original, das von „Texas Lightning“ seit der Neuformierung im Jahr 2004 kopiert wird: Countryfication, also die Übersetzung bekannter Pop- oder Rock-Songs in die Sprache der Steel-Guitar. Den Beweis anzutreten, „dass in jedem wirklich großen Song ein Countryherz schlägt“, so die TL-Eigenwerbung, das ist seit Jahren der Twang-Ansatz. Ballwanz könnte also mit Recht neidisch sein auf den Hype, den der NDR um John Fleming Olsens Band angezettelt hat. Ist er aber nicht: „Ich freue mich für Texas Lightning“, sagt er der taz. Gut, man sei „schon einigermaßen verdattert gewesen“, gibt er zu, „als die ihr neues Konzept vorgestellt haben“. Und das Abba-Cover Waterloo hält er für „einigermaßen langweilig“. Aber das Grand-Prix-Lied „No, No, Never“ sei „keine Countryfizierung, sondern einfach ein richtig guter Country-Song“. Und der Sieg könne der Szene „nur nutzen“.

Diese Szene ist einer der bedrohten Kulturschätze Norddeutschlands. Norddeutschland ist rau, ein Stück weit punkig und tendenziell hoffnungslos – so wie gute Country Musik eben. Doch von der atemberaubenden Formation „The Cow“ um die Wahlhamburgerin Peta Devlin hat man seit 2003 nichts mehr gehört, das wichtige Label XXS-Records hat aufgegeben, die glorreiche „Acadian Post“ wagt sich nicht über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus und die Country-Band „Fink“ – ursprüngliche Heimat des Lead-Sängers Nils Koppruch: Dithmarschen – behauptet zum Selbstschutz, dass es deutschen Country nicht gebe.

TL gehört da irgendwie dazu, wenn auch weniger eigenbrötlerisch und weniger experimentell – also massentauglicher. Kurz vorm Wettbewerb hatten sie bei Amazon Verkaufsrang Zwei, jetzt stehen sie auf Platz Eins. Und, das illustriert den Nutzen für die Szene, „Kunden, die Titel von Texas Lightning gekauft haben“, klärt der online-Shop auf, haben auch Platten von „The Twang“ erworben. Naja, alle waren’s nicht: Deren jüngste CD hat Verkaufsrang 12.962.

Das lässt ahnen, am Ende wird das Ganze ein Missverständnis gewesen sein, befördert durch den Start von Ang Lees Western „Breakback Mountain“ und die fehlgeleitete Wahrnehmung: TL-Schlagzeuger Olli Dittrich, im Hauptberuf Comedian, hat, wo auch immer er im Fernsehen aufgetreten ist, Werbung für die Formation gemacht. Dieser Country sei „irgendwie mit Augenzwinkern“ gemacht, versichern sich „Dittsche“-Fans deshalb in Internet-Foren gegenseitig, dass er seiner Rolle treu bleibt. Und auch die FAZ-Medienredaktion vermutete, ihr werde „eine schräge Gruppierung“ präsentiert, „die an die Quotenkönige Guildo Horn und Stefan Raab erinnern soll“.

Das ist falsch, aber leicht nachzuvollziehen, am leichtesten durch einen Blick auf die Vorauswahl zum Vorentscheid: Ohne Dittrichs Dauerpräsenz im TV wäre der NDR garantiert nicht auf die Idee gekommen, eine Country-Band zu fragen, ob sie antritt. Beweise? Na, die beiden anderen Kandidaten. Und die bisherige Karriere von TL. Musikalisch war deren Höhepunkt 2004 erreicht, da hieß die 1996 gegründete Band noch „Texas Lightning & the Rodeo Rockets“ und erhielt den deutschen Country-Music-Förderpreis. Von größeren Bühnen konnte sie nur träumen, und sowohl Sängerin als auch Schlagzeuger waren das Club-Getingel leid. Dann sprang die geniale Jane Comerford ein. Und Dittrich kam als Notnagel. Und wurde Gallionsfigur. Verständlich, schließlich ist Grimme-Preisträger Dittrich ein echter Held, als Schauspieler. Eine Fernsehgröße, sprich: Crossover-Promotion, also Plattenvertrag. Dass beim Country der Schlagzeuger nun wirklich eine sehr untergeordnete Rolle spielt, muss ja keiner wissen.