: Glückels Gott und Geld
■ Ein Symposion über die Hamburger Kauffrau Glückel von Hameln
Wir verdanken Glückel von Hameln ein einzigartiges Buch – ihre Memoiren. Die Hamburgerin (geb. 1646) war in mehrfacher Hinsicht eine Außenseiterin: zunächst als Jüdin und dann als Frau, die nach dem Tod ihres Mannes die Kaufmannsgeschäfte eigenständig und erfolgreich zu führen wußte. In ihrem Buch, den zwölf Kindern zugedacht, hält die verwitwete Glückel Zwiesprache mit sich und Gott. Neben den Wechselfällen ihres Lebens legt sie ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen und religiösen Anschauungen ebenso dar wie ihre wirtschaftlichen Unternehmungen. Glückels Erlebnis- und Beobachtungsfülle bietet nicht nur eine Projektionsfläche für Ideen von einem „gelungenen“ weiblichen Leben, sondern ist Historikern ein unerschöpflicher Quell an Informationen und Impulsen.
Aufs Schönste erwies sich diese anregende Kraft bei einem Symposion, das – hundert Jahre nach der Erstveröffentlichung der Lebenserinnerungen – das Institut für die Geschichte der deutschen Juden veranstaltete. Wie genau Glückel die wesentlichen Züge der Hamburger Judenpolitik beschreibt, belegte Jutta Braden. Da es der Stadt ökonomisch nützte, billigte sie den Juden im 17. Jahrhundert zwar wirtschaftliche Entfaltung zu, rechtliche Zugeständnisse jedoch verweigerte sie. Daß berufstätige jüdische Frauen keine Seltenheit waren, hob Michael Toch (Jerusalem) hervor, und Steven Lowenstein (Los Angeles) erhellte, wie sich Gottesfurcht und Geschäftssinn in Glückels Leben bedingten. Wie wenig die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschung bislang über Geschäftsfrauen und ihre Arbeitsbedingungen weiß, betonte Heide Wunder. Schließlich zeigte Gabriele Jancke anhand von vier Frauenbiographien der Frühen Neuzeit, wie existentiell die religiöse Gebundenheit dieser Frauen war, doch wie entschieden sie für ihre Lebensvorstellung eintraten.
Die Außenseiterin Glückel von Hameln ist uns Heutigen fremd und nah zugleich. Hans Mayer hat dieses Faszinosum zu erklären versucht: „Wie aber, wenn der Übertritt ins Abseits und Außen durch Geburt auferlegt war: durch das Geschlecht, die Abkunft, die körperlich-seelische Eigenart? Dann wurde die Existenz selber zur Grenzüberschreitung.“ Das Symposion machte die Grenzüberschreitung Glückels in ihren vielen Facetten deutlich.
Frauke Hamann
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