■ Glosse: Ab in den Osten!
Schmuck herausgeputzt hatten die Leute vom Trabi-Club Berlin sich und ihr Gefährt, als sie am verkehrsarmen Samstag vormittag zum Frühlingsausflug durch die City aufbrachen. Die Passanten zwischen Unter den Linden und Ku'damm quittierten den Spaß mit einem Schmunzeln oder Winken, entgegenkommende Fahrzeuge hupten. Die ansonsten so geschmähten Kleinwagenfahrer tankten Selbstbewußtsein. „Wir kapitulieren nicht vor der Autolobby“, so Vereinschef Albrecht Reiter, „die uns durch Steuerregelungen in einen neuen Wagen zwingen will.“ Viele der 600.000 Trabifahrer hätten für den Neukauf kein Geld. Auch die Überlegungen des Senats, ab 1998 ein Fahrverbot für Autos ohne Kat in der City auszusprechen, sind in ihren Augen ein „Kniefall der Politiker vor der Autoindustrie“. Den Vorwurf, Trabis seien Dreckschleudern, weisen sie weit von sich. „Unsere Trabis sind nachgerüstet und stoßen nicht mehr Schadstoffe aus als andere Autos auch“, behauptet Reiter.
Weit aber kamen die Trabis nicht. Am Ku'damm stoppte die Polizei die Kolonne. Nicht um sie, wie am 9. November 1989, freudig zu empfangen. Nach Auffassung der Grünuniformierten waren die zwölf hintereinanderfahrenden Autos eine unangemeldete Demonstration, obwohl die Fahrer weder Transparente entrollt noch politische Forderungen erhoben hatten. Nur eine kleine Berlin-Fahne aus Papier schmückte jeden Wagen, denn schließlich, so Clubchef Albrecht Reiter, „sind wir nicht irgendein Trabi-Club, sondern der hauptstädtische“. Nach einer halbstündigen Diskussion war dann von einem Verstoß gegen das Demonstrationsrecht nicht mehr die Rede, jedoch hätten die Trabifahrer die Straßenverkehrsordnung verletzt. Die verbiete Hin- und Herfahren. Die kleine Gruppe war den Ku'damm erst hinauf- und dann auf der Gegenfahrbahn wieder zurückgefahren. „Die Pappen gehören verschrottet“, bekamen die Fahrer von den Polizisten zu hören: „Macht solche Sachen doch im Osten, nicht aber auf dem Ku'damm!“ Marina Mai
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