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Glitzerbustier à la Gaultier

Zum Jahrhundertbeginn wollte der Futurismus mit der Kunst den Menschen revolutionieren. Eine Ausstellung in Dortmund geht dem Verhältnis von Film und Mode nach  ■ Von Elke Buhr

Rhythmik! Dynamik! Geschwindigkeit! Autos – Maschinen – Flugzeuge! Kein Manifest des Futurismus kommt ohne diese Begriffe aus. Die italienischen Künstler um Filippo Marinetti waren die ersten, die kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs das avantgardistische Projekt in Angriff nahmen, alle Traditionen hinwegzufegen, mit der Kunst auch den Menschen zu revolutionieren. Künstler in Rußland oder Frankreich folgten.

Wie die Künstler das in der Mode umsetzten, ist zur Zeit in der Ausstellung „Künstler ziehen an“ im Dortmunder Museum am Ostwall zu bewundern: Filzanzüge aus papageienbunten, spitzwinkligen Dreiecken und metallene Hemdbrüste von den Futuristen; Op- Art-mäßige geometrische Stoffmuster, fabrikgefertigt nach Entwürfen von russischen Künstlerinnen; Patchworkhosen der Bauhaus-Künstlerin Sophie Täuber- Arp oder atemberaubende Roben der Pariser Exilrussin Sonia Delaunay.

Auch das Kino war ein Bereich, in dem sich die Avantgardekünstler ausprobierten. Einige experimentelle Filme aus der Zeit sind durchaus bekannt: Wie „Ballet Méchanique“ von Fernand Léger aus dem Jahr 1924, der die Prinzipien von Simultanität, Geschwindigkeit und Technisierung durch eine konsequente Collagetechnik und völligen Verzicht auf Stories und Charaktere umsetzt. Doch daneben gab es auch eine Reihe weiterer, mehr oder weniger kommerzieller Produktionen, die in den letzten Jahren wiederentdeckt wurden. Sie wurden jetzt auf einem kleinen, aber ausgesuchten Festival in Dortmund gezeigt.

Als deutsche Erstaufführung war der Film „Thais“ von Antonio Bragaglia dabei; eine leicht chaotische erzählte Eifersuchtsgeschichte von 1916, bei der der junge Futurist Enrico Prampolini Kleidung und Dekoration entworfen hat. Erst kürzlich ist in einem New Yorker Archiv eine Kopie des verschollen geglaubten Films aufgetaucht. Hier prallt eine bürgerlich dekadente Handlung mit der exzentrischen, abstrakt-futuristischen Ausstattung zusammen. Die Femme fatale Thais nimmt ihrer Cousine den Geliebten weg, sie bereut und läßt sich in ihrer extra dafür eingerichteten aufwendigen Folterkammer selbst töten. Während die endlose Reihe ihrer abgelegten Liebhaber ganz traditionell mit Anzug und Zylinder vorbeiflaniert, ist Thais, in harlekinartiger Punktbluse und Schnürsandalen, vor einer Deko voller Quadrate, Rechtecke und hypnotischer Kreise inszeniert. Als sie in ihrer Folterkammer stirbt, brechen von allen Seiten spitze Stäbe aus den Wänden hervor, bis die Figur in einem kubistischen Gemälde zu verschwinden scheint. Übrig bleibt die schräge Linie.

Erstaufführung der Eifersuchtsgeschichte

In dem sowjetischen Film „Aelita“ von 1924 ergibt sich diese Trennung zwischen zwei ästhetischen Bereichen schon aus der Handlung, die sich an den gleichnamigen Roman von Tolstoi anlehnt. Ein junger Moskauer Ingenieur fliegt – im Fiebertraum – mit einem selbstgebauten Raumschiff zum Mars und stiftet zusammen mit seinem Getreuen die feudale Alien-Gesellschaft zum Klassenkampf an. Während man in Moskau in Filzstiefeln durch den Schnee stapft, agieren die Marsbewohner zwischen schrägen Türmen und schiefen Ebenen. Die Königin trägt hüftfreies Glitzerbustier zu glänzendem Antennenhut, die Adeligen runde, transparente Rüstungen und die Unterschicht Darth- Vader-Masken und Leibchen, die den Ansatz der strammen Pobacken freigeben: Besser hat Gaultier die 5th-Element-Kreaturen auch nicht ausgestattet.

Gegenüber diesem Versuch, Figur und Kulisse zum Gesamtkunstwerk zu vereinigen, steht die linientreue Hammer-und-Sichel- Botschaft des Films völlig im Hintergrund. Den Prinzipien des sozialistischen Realismus entsprach Jakow Protasanows „Aelita“ nun wirklich nicht – nach wenigen Jahren wurde er von den Sowjets verboten. In den Filmen, bei denen Sonia Delaunay mitgearbeitet hat, wirken ihre Kreationen auch wie von einem anderen Stern. Die französischen Produktionen „Le P'tit Parigot“ und „Le Vertige“ – beide Filme wurden 1996 restauriert – sind keine Avantgarde-Filme, sondern rein kommerzielle Produktionen. Die Exilrussin Delaunay übertrug das Prinzip der Simultanbilder, die sie und ihr Ehemann Robert Delaunay malten, auf Kleidung und Stoffe. Farbkontraste, so meinten sie, erzeugen Dynamik und rhythmische Schwingungen, die die Welt in Einklang bringen mit den kosmischen Vibrationen. In „Le P'tit Parigot“, einer Serie um einen schlitzohrigen jungen Bohemien von 1926, versetzen sie eine ganze Party in good vibrations. „Jetzt sehen sie Paris, wie es pariserischer nicht sein kann“, kündigt der Zwischentext an, und ein ganzes Heer von Models in Simultankleidern, umgeben von Delaunay-Gemälden, bevölkert das Fest. Nach diesem Ausflug ins Hip-Sein kehrt der Held wieder zu seinem gutbürgerlich gediegenen Ambiente zurück.

Auch in dem Erfolgsfilm „Le Vertige“, den René Le Somptier 1926 drehte, wird das Delaunay- Design immer dann bemüht, wenn junger Pariser Stil gezeigt werden soll. Der schöne, junge Liebhaber – blaß geschminkter Teint mit roten Lippen – steht im kontrastreich vibrierenden Bademantel vor kubistischem Wandteppich, und wenn er die Geliebte aus den Fängen ihres despotischen Ehemanns befreit, trägt er zum konventionellen Anzug einen hochmodernen Schal. Als Avantgardistin hatte Sonia Delaunay zwar das Gesamtkunstwerk Leben im Visier. In diesen Mainstream-Filmen sind ihre Stoffe jedoch nicht mehr als – ausgezeichnete – Dekoration. Die Überführung von Kunst in Design und von da in Kommerz ist nicht erst eine Erfindung der Pop-Art.

„Künstler ziehen an. Avantgardemode in Europa 1910 bis 1939“. Dortmund, Museum am Ostwall, bis zum 19. April 1998

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