: Gleichberechtigung ernst nehmen
betr.: „Streit übers Sorgerecht ohne Trauschein“, „Ein Rechtsweg zum Kind“, taz vom 6. 12. 08
Dass immer noch ernsthaft darüber diskutiert werden muss, ob Vätern, die die Vaterschaft anerkennen, automatisch das hälftige Sorgerecht zuerteilt werden darf, zeigt, wie sehr immer noch die althergebrachten Rollenbilder Gesellschaft und Rechtssystem bestimmen. Sowohl die Wirklichkeit (immer mehr Väter übernehmen immer größere Anteile der Kinderbetreuung) wie auch die Ansprüche von Frauen an einer gleichberechtigten Teilnahme am Gesellschaftssystem sind da schon viel weiter. Wer die Gleichberechtigung wirklich ernst nimmt und ihre weitere Entwicklung wünscht, kommt nicht daran vorbei, den Männern die Räume zuzugestehen, die früher von Frauen allein besetzt wurden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, darauf hinzuweisen, dass in Deutschland „gemeinsames Sorgerecht“ bei Streitigkeiten zwischen getrennt lebenden Eltern lediglich bedeutet, dass der Behörde- und Klageweg von beiden Seiten beschritten werden kann. In diesem Fall endet die gemeinsame Sorge allerdings fast automatisch und wird so ad absurdum geführt: Gerichte in Deutschland entscheiden, welche Seite besser für die Erziehung der Kinder geeignet zu sein scheint, und übertragen das Sorgerecht ganz oder in Teilstücken auf eine Seite. Weder gibt es ernsthafte Instrumentarien in den Familiengerichten zur Kompromissfindung noch die Möglichkeit, die Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil zu sanktionieren. Eine gemeinsame tatsächliche Elternschaft, in der beide Eltern gleichberechtigt Sorge tragen und die Kinder bei beiden in Wechselintervallen leben können, sind – anders als in Frankreich, Belgien, Schweden, den USA oder Australien – hier schlichtweg nicht vorgesehen. Stattdessen wird in fast allen streitigen Fällen wieder auf die tradierte Mutterrolle zurückgegriffen. Diesmal zum Leidwesen der Männer – und, da darf man sicher sein, in den meisten Fällen auch zu Lasten der betroffenen Kinder, um die es eigentlich gehen sollte.
MARKUS LINDEN, Hamburg