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Glauben oder hauen und saufen

■ Wozu wir Gott brauchen, auch wenn es ihn nicht gibt / Mit Heiner Geißler überlegt

Wozu braucht man noch das Christentum? Heiner Geißler fragt sich in seinem neuen Buch „Zugluft“, wozu man es in der Politik braucht und was das C im Namen seiner Partei soll. Gerade mal 12 Prozent der CDU-Wählerinnen fühlen sich inhaltlich der katholischen Kirche verbunden, der evangelischen ein Prozent, Tendenz: weiter rücklaufig. Geißler zitiert Richard von Weizsäcker: das C biete „keine höheren Wahlchancen, sondern allenfalls Angriffsflächen.“

„Alles,“ schreibt Geißler, „steht und fällt mit dem Glauben an Gott.“ Aber: „Existiert Gott?“ Er wägt die Argmentationen für und gegen seine Existenz kursorisch ab, von Küng bis Hawking, findet, daß mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, daß das aber letztlich weniger sagt als die Weihnachtspredigt des verstorbenen Erzbischofs von Mainz, Kardinal Volk. In der hieß es: „Es gibt nur eine Alternative: entweder glauben oder saufen.“

Glauben, wenn man es denn täte - bei Geißler klingt es auch nicht sehr danach - wäre für's Humane praktisch. Es würde eine/n nicht nur vorm Saufen bewahren, sondern vor der Zerfallenheit mit sich selbst und vor der Zerstörung anderer, mit der man die eigene Verlassenheit in der Liebe, die Inflation, die Heimatlosigkeit, die nationale Demütigung, den wirtschaftlichen Ruin rächt.

Denn in allen diesen Fällen steigt nicht nur die Lust zum Saufen, sondern auch die, sich zu vergreifen, am Liebsten, an den Juden, am Nachbarvolk. „Was Du nicht willst, was Du überhaupt nicht aushältst, daß man Dir tu, das fügst Du dann andern zu, wie unter Zwang.“

Daß man das politisch nicht darf, daß die eigene Zerstörungslust an der Würde des Nachbarmenschen seine Grenze findet, das steht im Grundgesetz, gleich zu Anfang in den Grund-und Menschenrechten. Es ist die erste deutsche Verfassung, in der das so ist. Geißler: „In der Reichsverfassung von 1871 kamen die Menschenrechte oder die Grundrechte überhaupt nicht vor, in der Verfassung der Weimarer Republik waren Grundrechte genannt, sie waren jedoch rechtlich unverbindlich.“

Nur, was passiert, wenn Menschen kollektiv in Druck und Angst und Wut geraten, wie die deutsche Gesellschaft vor 1933, was bringt uns dann dazu, die Menschenrechte anderer zu respektieren? Geißler schreibt: „Die Verantwortung des Menschen vor Gott zwingt ihn dazu, sich Rechenschaft abzulegen über sein Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen.“ Deshalb ist Geißler für das C: die Verpflichtung gegenüber einem persönlichen Gott bindet eine/n mehr als die schönsten Grundgesetzartikel. Aber für viele ist Gott tot und nicht wieder lebendig zu kriegen, egal wie praktisch das wäre für die Humanität.

Uta Stolle

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