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Glanz und Elend einer Perle

Es klingt unglaublich, aber es ist wahr: Vor zwanzig Jahren war unter Schwulenaktivisten gelegentlich das Kompliment zu hören, Bielefeld sei „die Perle der Schwulenbewegung. Tatsächlich hat die ostwestfälische Stadt in deren Geschichte keine unbedeutende Rolle gespielt. Gegen die „Initiativgruppe Homosexualität in Bielefeld“ – kurz IHB – waren die anderen Schwulengruppen der Bundesrepublik bürgerlich und anpasslerisch. Hier saßen die Vordenker einer linken Schwulenpolitik, hier wurden schwule Wohngemeinschaften und Kollektive gegründet, Häuser besetzt, eine überregionale Schwulenzeitung („Triebhaft“) herausgegeben.

Die „Subkultur“ bestand damals – wie auch heute noch – aus zwei, drei Schwulenkneipen. Berührungspunkte mit der Lesbenszene waren weder vorhanden noch wirklich gewünscht. Einzig „Muttis Bierstuben“ überstanden bis heute alle Moden und Existenzkrisen: ein Cub für ältere Herren mit Faible für deutschen Schlager. Diese Lokale aufzusuchen galt in der IHB als politische Sünde – Alternativen gab es für junge Schwule freilich nicht. Denn das Schwulenzentrum im Arbeiterjugendzentrum schimmelte bald ungenutzt vor sich hin, sprichwörtlich.

Die große Zeit der IHB ging in den frühen Achtzigerjahren zu Ende. Allmählich erschien es deplaziert, an jeder linken Demo teilzunehmen und – egal, wogegen demostriert wurde – das Transparent „Die Schwulen sind da!“ hochzuhalten. (Gibt’s den Lappen noch?) Allmählich entstand eine ganze Palette an Organisationen: Coming-out-Gruppen bildeten sich, eine Aidshilfe wurde gegründet, der lesbisch-schwule Sportclub „Warminia“ entstand. Und: Diverse Gay-Pride-Paraden zogen in den letzten fünfzehn Jahren am biederen Café Knigge vorbei. Am vergangenen Sonntag fand auf dem Siegfriedplatz an Stelle eines CSD-Umzugs zum ersten Mal ein schwul-lesbisches Straßenfest statt.

Natürlich leidet auch die Bielefelder Szene an kontinuierlicher Abwanderung. Vorteil für die Jungen: Es gibt wenig einengende Patronage. Nachteil für die Älteren: In der eigenen Altersgruppe wird die Luft immer dünner. Wer allerdings meint, diese Auszehrung schmiede den Rest der Aufrechten desto mehr zusammen, irrt. Ostwestfalen nämlich sind unglaublich stur. Weggezogene, die nach Jahren auf Besuch zurückkommen und sich freuen, ein paar vertraute Gesichter zu entdecken, wundern sich regelmäßig, dass nicht einmal ein erkennendes Kopfnicken ausgetauscht werden kann. Auch das ist Bielefeld: die Stadt der harten Schule.

REINHARD KRAUSE

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