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Gitarre, Schlagzeug, Bass

Einfache Arbeiter, die Rhythmus, Melodie und Klang zu einer höheren Einheit verdichten können: Die Hamburger Band Kante will mit ihrem neuen Album „Zweilicht“ Teil der Musikgeschichte werden

von ANDREAS HARTMANN

„Die Summe der einzelnen Teile“ ist aus zwei Gründen die Vorab-Single für das neue Album der Hamburger Band Kante. Einmal, weil der Song ein catchy Rocksong ist. Doch vor allem, weil man auf dieses Album vorbereitet werden musste. Denn „Zweilicht“ ist eine Zäsur – eine Platte, die einen ähnlichen Einschnitt in den Popbetrieb darstellt wie der erste Acid-Schocker oder Jungle-Track, den man je zu Ohren bekommen hat.

Hier wurde ein Werk gezimmert, nicht bloß ein weiterer guter oder weniger guter Tonträger. Der Band aus Hamburg ist eine Platte gelungen, die man nicht einfach schlucken kann, sondern sie will erarbeitet werden. Das hier ist große Kunst. Und glücklicherweise doch nur Popmusik.

Mehr als die Summe

Die Erklärung, die Philosophie hinter dieser Platte wird in einer Textpassage der ersten Single gleich stellvertretend für das ganze Werk mitgeliefert: „In manchen Momenten ist sie für eine Weile mehr als die Summe der einzelnen Teile.“ Es geht in „Zweilicht“ um nichts weniger als um die Frage nach dem Stein der Weisen bei der Erschaffung von guter (Pop)Musik. Denn gute Popmusik war schon immer mehr als das reine klingende Material. Ein Gitarrensolo kommt nicht nur aufgrund seiner raffinierten Akkordfolge gut, sondern vor allem dann, wenn man dazu Luftgitarre spielen oder einfach nur seine eigenen Gefühle darin baden lassen kann. Kante sind jedoch Materialfetischisten der Art, dass sie die raffinierte Akkordfolge gleich als Wirkung mitdenken. Sie machen auf „Zweilicht“ etwas, das guter Popmusik normalerweise nur selten zugute kommt: Sie begreifen Musik als System, das nach bestimmten Regeln funktioniert. Und gehen davon aus, dass man dieses Regelwerk tatsächlich beherrschen kann.

Jeder Klangpartikel wird Baustein, sämtliche Musik nicht nur Referenz, sondern vor allem schlichtes Material. Und in der Neubestimmung wieder vor allem Referenz. Am Ende, und das ist das eigentlich Unfassbare an „Zweilicht“, ist ihnen bei ihrer Arbeit tatsächlich das gelungen, was Sänger und Gitarrist Peter Thiessen den Versuch nennt, „das Spirituelle des Materials Musik freizusetzen“.

Kante gehen überhaupt nicht davon aus, dass so etwas wie Spirit der Musik vorausgeht. Der in sich selbst horchende Künstler, der Magier, das ist für sie purer Kitsch. Sie sind nüchterne Arbeiter, die jedoch die Kunst beherrschen, die Schönheit von erarbeiteter Musik zu erkennen und die Materialien Rhythmus, Melodie und Klang zu einer höheren Einheit zu verdichten. Peter Thiessen sagt dazu: „Man probiert herum und stößt auf etwas, das einem gefällt. Ich glaube nicht, dass Musik einfach so aus einem herausblubbert – und wenn, dann ist vorher schon viel in einen hineingegangen. Durch andere gehörte Musik etwa.“

Mit dieser Vorstellung von Musik ist der schnelle Schritt raus aus dem Proberaum, rein in das Studio ein folgerichtiger gewesen. Denn dieses ist erst der eigentlich Arbeitsraum für Kante. Peter Thiessen: „Wir haben alles am Computer vorproduziert. Wir haben den Computer als Werkzeug, als Schreibmaschine für unsere Kompositionen betrachtet. Der Vorteil am Computer ist, dass man nicht mit endgültigen Sounds arbeitet, sondern dass man Zeit hat, eine Vorstellung von diesen zu entwickeln. Und diese Vorstellung wird mit der Zeit immer kraftvoller. Bis du dann irgendwann sagst: Das ist es jetzt.“

Kante in der Montage. Peter Thiessen: „Ich habe mich viel mit Free Jazz, Blues, amerikanischem Folk, Gospel, Spirituals und Country beschäftigt und mich immer wieder gefragt: Wie funktioniert das?“ Im Gespräch ist die Rede von „melodiösen Schlagzeugfiguren“, bestimmten Blues-Lines, von Bob Dylan, dem frühen Van Morrison, von Afrofuturismus. Und man hört auf der Platte die Einflüsse von Robert Wyatt, Captain Kirk & Blumfeld, John Coltrane, Alice Coltrane und vor allem der späten Talk Talk, die Ende der Achtziger den spirituellen Kunstpop zu einem unerreichten Höhepunkt führten.

Red nicht von Postrock!

Doch Kante sind keine Schmelztiegelband. Sie verteilen die einzelnen Elemente vielmehr schön langsam auf die einzelnen Songs, sodass sich keinen Augenblick das Gefühl der Überforderung einstellt.

Die Grundidee von „Zweilicht“ ist, so Peter Thiessen, „die Verzahnung von Gegenwart und Zukunft“. Postrock, das Mäntelchen, das man noch Kantes Debütplatte „Zwischen den Orten“ umhängen wollte, wäre hier kein passendes Kleidungsstück. Es geht nicht darum, etwas abzuschließen, sondern aufzuarbeiten. Schlagzeuger Sebastian Vogel: „Wir wollten keinen Schlussstrich ziehen. Wir wollten uns aktiv und positiv auf das beziehen, was vorher war, Teil werden von der ganzen Musikgeschichte.“ Für die Musikgeschichte als Summe der einzelnen Teile dürften sie jedenfalls kein unwichtiger geworden sein.

Kante: „Zweilicht“ (Kitty Yo/EFA)

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