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Prêt-à-porterGiraffe im Rückwärtsgang

■ Alles fließt. Thomass, Chloé, Lagerfeld und zwei Arten von Models

Ein großer Trend bei diesen Schauen sind fließende Stoffe wie Jersey, Crêpe de Chine, Chiffon und Baumwollcrêpe, die den Körper umschmeicheln oder schleierartig umhüllen. Der Wonderbra kann bereits eingemottet werden, angesagt ist überhaupt kein BH. Die Brüste sind unter den oft durchsichtigen Stoffen deutlich sichtbar. Auch die Jacken sind oft locker geschnitten, zwar immer noch deutlich tailliert, aber doch so, daß man viel Bewegungsspielraum hat.

Wer den knallengen Stretchkleidern nachtrauert, kann im Sommer ein letztes Mal bei Chantal Thomass fündig werden. Was danach kommt, weiß kein Mensch, denn Thomass ist noch vor der Präsentation aus ihrer eigenen Firma gefeuert worden. Den Rausschmiß angeordnet hat die japanische Gruppe „World“, die seit 1985 eine Aktienmehrheit an Thomass' Firma hält. Thomass' Einstellung zu geschäftlichen Dingen, die sie schlicht nie interessiert haben, erschien den Japanern angesichts der schlechten Bilanz im letzten Jahr untragbar frivol. Falls Thomass eine neue Firma gründen will, kann sie dies jedoch nicht unter ihrem eigenen Namen tun. Der ist nämlich in zwischen ein Markenname, der bis zum Jahr 2035 den Japanern Kleider wie Unterröcke von Chantal ThomassReuter

gehört. Zum Auftakt ihrer Schau erschienen zwei Models in Jerseykleidern, eins Türkis, das andere Orange, die glänzten, als wären die beiden gerade dem Wasser entstiegen. Die Kleider saßen um die Taille eng wie ein Mieder, um Brust und Hüften waren sie eine Winzigkeit weiter, gerade so, daß sich die Brüste problemlos bewegen konnten, während der Stoff seinen Spielraum um die Hüften dazu nutzte, sich in kleinen Falten hochzuschieben. Der Saal atmete hörbar etwas schwerer, eine Wirkung, die all die nackten Brüste unter den durchsichtigen Stoffen bisher nicht erzielen konnten. Es folgten Seidenkleider, die wie Unterröcke aussahen – in Orange mit großen roten Punkten oder Grün mit braunen Punkten und an den Säumen mit schwarzer Spitze verziert. Außerdem gab es knallenge schwarze oder braun- rosa Miederkleider mit korsettartigen Oberteilen. Als die Models am Ende der Schau noch einmal alle auf den Laufsteg kamen, klatschte das Publikum fröhlich im Takt mit, und ich wartete gespannt, ob es irgendeine demonstrative Geste für Thomass geben würde. Aber als die Designerin nicht herauskam, verließen alle brav den Saal.

Bei Chloé zeigte Lagerfeld viel schlicht geschnittene Anzüge und Kleider in kräftigen Farben. Am besten gefielen mir die knielangen orangefarbenen Kleider, die aus einem sehr festen Stoff gefertigt waren, der am Oberkörper bis zur Taille eng anlag. Der Stoff war so steif, als wäre Roßhaar eingewebt, so daß die Röcke ohne Unterlage abstanden, als wären sie Glocken, Tulpen oder – ihr wißt schon.

Diors Schau sollte eine Hommage an die großen Hollywood- Diven werden, reichte aber bei weitem nicht an die glamouröse Extravaganz der Winterkollektion heran. Also setzte ich mich zurück und sah mir die Models an. Besonders, wenn enge Kleider oder Kostüme vorgeführt werden, wird deutlich, daß es zwei Model-Arten gibt. Die vor und die nach Stella Tennant. Tennant ist eine dunkelhaarige Engländerin, die zur Zeit in jedem Modemagazin zu sehen ist. Sie ist noch dünner und noch blasser als die anderen. Aber das besondere an ihr kommt nur bei den Schauen zum Vorschein, nämlich ihr Gang: Die Hüften sind weit vorgeschoben und die Brust ist eingezogen, Schultern und Kopf weisen dann wieder nach vorn. Sie hat den Oberkörper so weit nach hinten gelehnt, daß man befürchtet, sie könnte jeden Moment flach auf den Rücken fallen. Die Hüften können sich in dieser Haltung nicht zur Seite hin bewegen, so daß sie statt dessen beim Gehen nach vorne und hinten wippt. Es sieht aus, wie eine Giraffe, die den Rückwärtsgang eingelegt hat – im Jean-Harlow-Satinkleid! Anja Seeliger

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