: Gigantische Ehrenrunde
■ Meisterlich beendete Gianni Bugno den Giro d'Italia und rettet so den Haussegen
Mailand (taz) - „Das ist doch purer Tourismus“, schimpft der Gemüsehändler Luca Spillo an der Zielgeraden im lombardischen Gallarate, wo die drittletzte Etappe des Giro d'Italia endet. Was ihn so in Harnisch bringt, sind die Zwischenzeiten, die über Lautsprecher von der Strecke gemeldet werden und die ein recht gemütliches Tempo anzeigen. Niemand hat es mehr eilig bei diesem Giro, denn wie sagte Charly Mottet: „Die Karotten sind auf dem Pordoi gekocht worden.“
Als es dem Franzosen beim Aufstieg zur 2.239 Meter hohen Cima Coppi nicht gelungen war, den in der Gesamtwertung souverän führenden Gianni Bugno abzuschütteln, und dieser sich auch auf der letzen Alpenetappe am nächsten Tag keinen Ausrutscher erlaubte, war das Rennen gelaufen. Der Rest war nur noch die große Ehrenrunde des Gianni Bugno.
Enthusiastische „Gianni, Gianni„-Rufe empfingen ihn überall, wo das „maglia rosa“ aufleuchtete, und wahrscheinlich werden ihm noch Tage lang die Ohren klingen. Es ist schließlich kein Pappenstiel, 319 Kilometer lang auf jedem Meter seinen Vornamen entgegengebrüllt zu bekommen, eine Art verbalisierte chinesische Tropfenfolter.
Bugno allerdings schien sie bestens zu bekommen. Beim Zeitfahren, das er eigentlich gar nicht gewinnen wollte, drehte er nochmals auf. Als er als letzter Fahrer durch Varese düste, trauten die Rad-Tifosi ihren Augen kaum. Eine halbe Minute hatte er dem vor ihm gestarteten Mottet schon abgenommen, und es folgte noch der aufreibende sechs Kilometer lange Aufstieg zum Sacro Monte. Im Stile eines wahren Champions strampelte er gleichmäßig und blitzschnell die Serpentinen hinauf, und im Ziel war er 1:20 Minuten schneller als der Zweite, Marino Lejaretta - Abgründe bei einem Zeitfahren über insgesamt nur 39 Kilometer.
Mottet hatte er sogar 2:20 Minuten abgenommen und seinen Vorsprung in der Gesamtwertung auf 6:33 Minuten ausgebaut. Überlegener hatte bisher nur Eddy Merckx den Giro gewonnen, im Jahre 1973 mit 7:42 vor Gimondi. Dies war auch das letzte Mal vor Bugno, daß ein Fahrer das Rosa Trikot vom ersten bis zum letzten Tag getragen hatte, ein Kunststück, daß bislang nur vier Fahrern gelungen ist: Bugno, Merckx und den Italienern Girardengo (1919) und Binda (1927).
Die letzten 90 Kilometer seiner Triumphfahrt, 18 Runden um den Parco Sempione in Mailand, absolvierte Bugno am Mittwoch in aller Ruhe. Den Spurt gewann Mario Cipollini, und dann endlich durfte Bugno seine Trophäe entgegennehmen, die ihm in erster Linie einen friedlichen Empfang daheim garantiert. „Wenn du ohne Sieg heimkommst, bringe ich dich um“, hatte seine Ehefrau Vincenzina schon bei den ersten Etappen gedroht, und so bewahrheitete sich wieder einmal, daß hinter jedem großen Mann eine treusorgende Frau steht.
Nach dem Sieg des Milan-Anhängers Giovannetti bei der Vuelta und des Inter-Anhängers Bugno beim Giro träumt Italien nun, nach den drei Fußball-Europapokalen - und der WM selbstverständlich - auch die drei großen Radtouren zu gewinnen. Doch Felice Gimondi, der 1965 als letzer Italiener bei der Tour de France siegte, ist skeptisch: „Jetzt die Konzentration zu behalten, ist sehr schwierig, und mit der Tour ist nicht zu spaßen.“
Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen