: Giftmüllstopp: Die Zeit läuft ab
■ Stichtag: 1. April: Schließung der DDR-Kippe Vorketzin stürzt Senat, BSR und Industrie in Probleme / Müllströme können nicht rechtzeitig umgelenkt werden
Obwohl das Ultimatum von DDR-Umweltminister Diederich erst in anderthalb Monaten abläuft, nimmt die Nervosität in den West-Berliner Behörden zu. Jetzt schon zeichnet sich ab, daß nicht alle Sonderabfälle, die die West-Berliner Industrie täglich ausstößt, rechtzeitig in Anlagen und auf Deponien in der untergebracht werden können, wenn die DDR-Deponie Vorketzin am 1. April endgültig ihre Tore für den Giftmüll schließt. „Es sieht nicht so aus“, so ein BSR-Experte, „als ob das hinhaut.“
Fieberhaft sucht der Senat nun nicht nur nach Entsorgungsmöglichkeiten in der BRD, sondern auch nach Standorten für ein provisorisches Zwischenlager, in denen die giftigen Sonderabfälle befristet untergestellt werden können.
Weil der schon lange geplante Bau eines Hochsicherheitslagers für Sonderabfälle in der Vergangenheit stets „an der Grundstücksfrage“ gescheitert sei, denken BSR und Senat jetzt auch über „unkonventionelle Lösungen“ nach. So ist das ohnehin stark verseuchte Grundstück der ehemaligen Kupferraffinerie in der Reinickendorfer Flottenstraße als möglicher Standort für eine provisorische Halle im Gespräch.
Bevor die West-Berliner Sonderabfälle dann endgültig auf westdeutschen Deponien, wie der niedersächsischen Kippe in Hoheneggelsen, untergebracht werden können, müssen Senat, BSR und Industrie noch einige Hürden nehmen. Eine Vielzahl von Genehmigungen der westdeutschen Behörden seien nötig, bevor die West-Berliner Abfälle dort abgekippt werden dürfen, berichtet man bei der BSR. Die niedersächsischen Ämter etwa verlangen von jedem Berliner „Abfallerzeuger“ einen eigenen Antrag; das addiere sich zu einem „Riesenwust von mehr als 1.000 Genehmigungen“, klagt ein BSR-Mann.
Auch die Preise, die die von Vorketzin verwöhnten Industriebetriebe berappen müssen, werden drastisch steigen. Nicht mehr nur 250 Mark pro Tonne, sondern „zwei- bis viermal soviel und mehr“ will BSR-Chef Georg Fischer künftig verlangen.
Grund: Statt der lächerlichen 42 Mark pro Tonne, die die DDR bisher für das Abkippen in Vorketzin verlangte, berechnen westdeutsche Deponien ein Vielfaches. Steigen müssen die Tarife der Stadtreinigung auch deshalb, weil ihre Mülltransporter die gefährliche Fracht künftig um die 300 Kilometer weit über Land kutschieren müssen - statt nur dreisig Kilometern ins nahe Vorketzin.
Thomas Schwilling, Leitungsreferent in der Senatsumweltverwaltung, hofft, daß die Preisschraube als „ökonomischer Anreiz“ dafür sorgt, daß Giftabfälle nun öfter gar nicht erst entstehen. Schwilling hält es sogar für überlegenswert, „generell den doppelten Preis“ zu verlangen
-auf die neuen BSR-Tarife also noch einmal dieselbe Summe draufzuschlagen. Mit diesem Sonderzuschlag könnte dann die Sanierung der undichten Deponie Vorketzin bezahlt werden.
Die Industrie sei schließlich „der Verursacher“ der Sondermüllprobleme, wettert der Referent. Er sieht noch „erhebliche Möglichkeiten“, in den Betrieben auf müllvermeidende Techniken umzustellen. Im Auftrag der Umweltverwaltung ermitteln zur Zeit Gutachter für verschiedene Branchen und Betriebe die Vermeidungspotentiale; sobald Ergebnisse vorliegen, so Schwilling, werde seine Behörde technische Umstellungen zum Teil auch anordnen. Besonders die Galvanisierbetriebe, für deren Schlämme der Senat immer noch keine Entsorgungsmöglichkeit in der BRD gefunden hat, könnten auf ausgereifte Technologien zurückgreifen, bei denen 98 bis 99 Prozent des Abfalls gar nicht erst anfallen würden. Die Waggon-Union, so eine weitere Anregung des Referenten könnte beim Lackieren von U-Bahn-Waggons auf Pulverlack umstellen. Vorteil: Weniger Farb- und Lackschlämme fallen an. Nachteil des Pulverlacks: Er glänzt nicht so schön.
Hmt
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