: Giftige Furien mit Talent
Vor 11.400 Zuschauern in der Münchner Olympiahalle erfüllten die Phoenix Suns ihre Mission, den besten Basketball der Welt vorzuführen ■ Aus München Matti Lieske
„Yeah man, that feels good“, brüllt Kevin Johnson begeistert, als der Ball durch den Korb rauscht. A.C. Green ballt nach einem akrobatischen Rückwärts- Dunking triumphierend die Faust, Danny Ainge räumt mit einem resoluten Ellenbogenstoß einen vor ihm stehenden Spieler beiseite, bevor er zum Wurf ansetzt, Charles Barkley bietet jedem, der ihm begegnet, eine Schlägerei an, und das ganze Team einschließlich Coach klatscht ironisch Beifall, als Dan Majerle nach drei Fehlversuchen endlich einen Distanzwurf versenkt.
Die Phoenix Suns in Aktion, aber keineswegs in einem Turniermatch, sondern bei einem lockeren Training am Vormittag.
„Sie haben eine andere Mentalität“, konstatiert Bolognas Trainer Alberto Bucci, auch wenn sein Kollege Paul Westphal jenen niemals ruhenden Siegeswillen, der die NBA-Profis treibt, gar nicht als Grund für die klare Überlegenheit des US-Basketballs anführt. Doch von den Suns wird man nie Sätze hören wie jene der Akteure von Bayer Leverkusen, die nach dem verlorenen Match gegen Real Madrid gutgelaunt meinten, das sei zwar schade, aber kein Beinbruch, denn zählen würde für sie schließlich nur die Europaliga. Für Barkley und Genossen gibt es keine unbedeutenden Niederlagen, jede einzelne ist eine persönliche Schmach.
Nicht umsonst heißt es vom olympischen Dreamteam, daß es nie so gut war wie im Training, weil es ein Michael Jordan einfach nicht ertragen konnte, gegen Magic Johnson zu verlieren und umgekehrt. Wer diesen umfassenden Willen, immer der Beste zu sein, nicht hat, kann in der NBA gleich einpacken, und so kommt es, daß Korbakrobaten wie die der Phoenix Suns zu giftigen Furien werden, wenn sie ins Hintertreffen geraten.
Dies bekam beim Turnier in München zuerst Real Madrid zu spüren, das im Halbfinale gegen die Suns ein sensationelles erstes Viertel spielte und eine deutliche Führung herausholte. Basketball- Titan Arvidas Sabonis war von den Amerikanern nicht zu bremsen, und auch seine Kollegen trafen nach Belieben. „Ich war erstaunt, wie gut sie das Spiel verstehen, und wie sie jeden unserer Fehler sofort ausnutzten. Das können auch in der NBA nicht viele Mannschaften“, wunderte sich Spielmacher Kevin Johnson. Nur Charles Barkley war nicht überrascht: „Das ist immer so mit den Europäern. Am Anfang pumpen sie sich auf und spielen über ihre Verhältnisse, dann setzt sich das größere Talent durch.“
Immerhin brauchte Coach Westphal mehrere Auszeiten, bis sein Team so weit geordnet war, daß es langsam die Initiative übernahm. Der Schlüssel dazu hieß Defensive. „Wenn wir in der Abwehr nicht gut spielen, können uns die Europäer besiegen“, nahm er als Erkenntnis aus München mit, „und das ist ein großes Kompliment.“ Plötzlich klebten die Suns wie ausgehungerte Zecken an ihren Gegenspielern, boten ihnen kaum Lücken zu Paß oder Wurf, schnappten sich mit krakenartiger Gewandheit die Rebounds, und Barkley sowie Kevin Johnson schossen immer wieder durch die Abwehrreihen zum sicheren Korbleger.
Reals Fehler und Fouls häuften sich, am Schluß siegte Phoenix mit 145:115 und war auch im Finale beim 112:90 gegen Bologna vor 11.400 Zuschauern in der Olympiahalle nie gefährdet. „Es wäre gelogen zu sagen, daß wir mit gleicher Intensität wie etwa gegen die New York Knicks oder die Chicago Bulls gespielt hätten, aber wir mußten hart arbeiten“, sagte Charles Barkley, der immerhin fast 35 der 48 Minuten des Endspiels auf dem Platz stand und ebenso unvermeidlich wie berechtigt zum besten Turnierspieler gewählt wurde. „Bei vollem Einsatz hätten wir allerdings mindestens mit 40 Punkten Vorsprung gewonnen.“
Die europäischen Teams seien zwar sehr gut geworden, befand Paul Westphal, in der NBA würden sie jedoch trotz ihrer von allen US-Beobachtern bestaunten Treffsicherheit kaum ein Spiel gewinnen, weil sie in der Abwehr zu schwach und gegen gute Deckungen zu unbeweglich seien. „Sie stehen nur rum und warten auf ihre Sprungwürfe“, lästert Barkley und führt dies auf die außerhalb der NBA zugelassene Raumdeckung zurück. Ein 2,21m-Riese wie Sabonis steht praktisch als Torwart unter dem Korb und greift sich jeden Abpraller. Mit der Manndeckung in der NBA würde ein solcher Spieler nach Westphals Überzeugung jedoch gewaltige Probleme bekommen.
Bolognas Star Cliff Levingston, der mit den Chicago Bulls zwei NBA-Meisterschaften gewann und im Finale 23 Punkte holte, weist auf ein anderes Problem hin, das auftritt, wenn 48 statt 40 Minuten in vier Vierteln gespielt werden: die Kunst des Rhythmuswechsels. „Wir sind gewohnt, jede Halbzeit voll durchzuspielen. Sie beschleunigen und verlangsamen, beschleunigen und verlangsamen.“ Zudem haben Mannschaften wie die Suns ein viel größeres Reservoir an exzellenten Spielern. Wenn die Cracks von Bologna und Madrid müde wurden, kamen viel schlechtere Spieler von der Bank, während jeder Reservist der Suns besser war als jeder Gegner, mit Ausnahme von Sabonis und Levingston.
Dennoch waren die Phoenix Suns am Ende froh, das Münchner Abenteuer überstanden zu haben, ohne den „schalen Geschmack im Mund, als erstes NBA-Team eine Niederlage gegen ein ausländisches Team kassiert zu haben“ (Barkley), heimfliegen zu können. „Sie werden immer besser“, urteilte A.C. Green, der vor zwei Jahren mit den Los Angeles Lakers beim Turnier in Paris spielte, „sehr bald wird jemand unterliegen.“ Dann, so Westphal, könnten sich die Phoenix Suns gemütlich zurücklehnen, mit dem Finger auf die Unglücksraben zeigen und sagen: „Schau dir die an, die haben verloren.“
Es sei denn, es handelt sich um sie selbst. Schon bei der nächsten derartigen Veranstaltung in zwei Jahren soll nämlich im Rahmen einer echten Klub-Weltmeisterschaft der NBA-Champion teilnehmen. Und wer das in naher Zukunft sein wird, daran läßt zumindest Charles Barkley keinen Zweifel: „Wir sind das beste Team der Welt.“
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