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Giftgas: Nur ein kleiner Unfall vorgesehen

■ Bezirksregierung plant Ernstfall, der keiner ist / Weser-Ems: 2.500 Polizisten im Einsatz

Die Ärzte der Oldenburger Kliniken haben es seit vergangener Woche schriftlich: „Höchste Gefahr! Möglichst weiträumig eva

kuieren! Extreme Vergiftungs gefahr! Einsatzkräfte nur unter Vollschutz einsetzen!“ Und auf einem anderen Blatt, überschrie

ben mit „Ärztliche Behand lungsrichtlinien der Nervenkampfstoffverdichtung“, wird aus dem „Lehrbuch der Militärchemie“, Militärverlag der DDR, zitiert: „Symptome: reaktionslose Pupillen, reflektives Würgen und Erbrechen, Übergang der Krämpfe in schlaffe Lähmung, Tod.“

Die Rede ist von Sarin und VX, den Kampfstofen, die an sieben aufeinanderfolgenden Nächten vom pfälzischen Miesau durch Bremen zur Verschiffung nach Nordenham gebracht werden. 395 Tonnen sind es insgesamt, verpackt in 102.000 Granaten, die aller Voraussicht nach vom 13. bis 20. September über die Bahngleise rollen werden. Zeit für Katastrophenschützer und auch Mediziner sich konkret auf einen möglichen Unfall vorzubereiten. Wie eben in Oldenburg: Da hatte die Bezirksregierung Ärzte aus dem gesamten Weser -Ems-Raum zu einer Informationsveranstaltung geladen.

123 Betten haben die Ernstfallplaner im Weser-Ems-Gebiet zusammengezählt. Infrage kommen dabei lediglich intensivmedizinisch genutzte Betten mit Beatmungsapparaturen, Betten, die in aller Regel jedoch ausgelastet sind. Ein wesentlicher Teil der Medikamente, die für eine Behandlung eventuell Vergifteter benötigt wird, ist in den Begleitzügen dabei. Das Gegengift Atropin, das die Symptome der Vergiftung bekämpft, wird in sogenannten Autoinjektoren mitge

führt. Damit können sich Patienten, der „Vergiftungsstufe 1“, die lediglich „leicht vergiftet“ sind, selbst behandeln. Bei „mäßig schwer“, bzw. „schwer vergifteten“ Patienten hilft dann, wenn überhaupt, nur noch die Intensivmedizin.

Während die Naturwissenschaftler Initiative „Verantwortung für den Frieden“ in einem Memorandum zum Abzug chemischer Waffen der USA aus der Bundesrepublik noch einmal die Notwendigkeit einer „Risikoanalyse“ betonen und insbesondere die Transportsicherheit der Behälter bezweifeln, (Kritik: Die Behälter seien lediglich für einen Zusammenstoß bei elf km/h getestet, die Züge fahren aber bis zu 90 km/h), beschreiben Bundeswehr und US-Army das Risiko anders. Nach dem Motto, das nicht sein kann, was nicht sein darf, heißt es: „Der schlimmste Fall ist die begrenzte Freisetzung des Teilinhalts einer Granate.“

Bei der Vorbereitung auf diesen kleinsten anzunehmenden Unfall muß die Polizei mit Schwierigkeiten fertig werden, für die die Informationspolitik der Bundesregierung verantwortlich ist. Denn bislang wird die genaue Route zwischen Worms und

Bremen geheimgehalten. Erst sechs Stunden, bevor die Gifttransporte rollen, wird die genaue Transportstrecke mitgeteilt. Deshalb muß die Polizei in Niedersachsen auch vorsorglich an Strecken einsatzbereit sein, an denen dann gar kein Zug rollen wird. Insgesamt sind 2.500 Beamte eingeplant. Diese Polizisten haben dafür zu sorgen, daß Kreuzungen von Schiene und Straße während des Transportes geschlossen bleiben. Der Nordenhamer Hafen wird völlig abgeriegelt. Und auch die Weser ist nur noch eingeschränkt passierbar: Nach Einlaufen der Munitionsschiffe wird die Wasserschutzpolizei einen zehn Meter breiten Sicherheitsstreifen einrichten.

Auch in Bremen laufen die Vorbereitungen auf den Transport auf Hochtouren. Feuerwehr und Rotes Kreuz werden in diesen Nächten vollständig besetzt sein. Die Polizei wird Bahnübergänge und Brücken sperren. Von der bürokratischen Intensiv-Betten-Zählerei, wie im Gebiet Weser-Ems hält die zuständige Gesundheitssenatorin jedoch nichts. Ihre Sprecherin Helga Loest zur Begründung: „Wenn es zu einem größeren Unfall kommt, können wir eh‘ nichts machen.“

hbk

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